© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Frisch gepresst

Walter Laqueur. „Was für ein Mann! Was für ein Buch!“ Ein Rezensent, der so hymnisch anhebt und derart fortfährt zu tremolieren, scheint kurz vor der Einnässung zu stehen. Obwohl Fritz J. Raddatz, der in diesem Stil in der Literarischen Welt vom 2. Oktober 2009 Walter Laqueurs Autobiographie akklamiert, bislang eher dafür bekannt ist, allein die Tinte nicht halten zu können. Wer, von Raddatz gedopt, die Lebensbilanz des 1921 in Breslau geborenen politologischen Meinungsmachers zur Hand nimmt, erlebt allerdings eine herbe Enttäuschung. Sein Leben schildert Laqueur, der 1938 nach Palästina emigrierte, eher al fresco, anekdotenreich und das Individuelle kaum preisgebend. Wichtiger war ihm der Subtext, der seine bekannten zionistischen Ansichten transportiert. Unter Raddatz’ enthemmtem Beifall trägt der Verfasser seine ebenso zynische wie (seit 1946) völkerrechtswidrige Lösung des Nahostkonflikts vor: Die Palästinenser hätten sich mit dem Status quo abzufinden, besser noch, sie brächen ihre Zelte ab und ließen sich in die arabischen Brudervölker integrieren. Und zwar nach dem Vorbild der deutschen Vertriebenen. Die hätten ihre Vertreibung aus „Osteuropa“ auch akzeptiert und kämen in die „Staaten“, in denen ihre Vorfahren seit Jahrhunderten gelebt hätten, nur als Touristen zurück. Dies bringt zu Papier, wer mitten in Deutschland, in Breslau, aufgewachsen ist. „Was für ein Mann, was für ein Blindfisch!“ (Mein 20. Jahrhundert. Stationen eines politischen Lebens, Propyläen Verlag, Berlin 2009, 320 Seiten, Abbildungen, 22,90 Euro).

 

Alfred Grosser. Wesentlich ab- und aufgeklärter präsentiert hingegen der „ewige Kulturbotschafter“ Alfred Grosser, Jahrgang 1925, die Erfahrungen und Schlußfolgerungen eines auch der Vermittlung zwischen Deutschen und Juden gewidmeten Lebens (Von Auschwitz nach Jerusalem. Über Deutschland und Israel, Rowohlt Verlag, Reinbek 2009, gebunden, 204 Seiten, 16,90 Euro). Auch bei Grosser, Frankfurter Großbürgersohn, der mit seiner Familie nach 1933 emigrierte, finden sich Klischees und Abgegriffenheiten, die in diesem Kontext fast unentbehrlich scheinen. Und doch zeigt dieser Politikwissenschaftler, dessen Israelkritik ihm schon öfter Schläge mit der „Antisemitismus“-Keule eintrug, mehr Gespür sowohl für die politischen und historischen Realitäten der Gegenwart. Insofern berührt seine Grundsatzfrage, wann Kritik eben diese Grenze zum Antisemitismus überschreitet, eine historische wie auch aktuelle politische Dimension. Alles in allem präsentiert er im Kontrast zum Generationsgenossen Laqueur, inwieweit sich unterschiedliche Horizonte aus fast gleicher Perspektive präsentieren.

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