© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/09 16. Oktober 2009
1946, Herbst in Deutschland: Stig Dagermans bewegende
Eindrücke aus einem zerstörten Land Der junge schwedische Journalist und Schriftsteller Stig Dagerman verbrachte 1946 einige Monate im hungernden, frierenden, zerstörten Deutschland. Seine Eindrücke und Reflexionen veröffentlichte er später in dem Band Deutscher Herbst, dessen Verfilmung durch Michael Gaumnitz nun bei Arte ausgestrahlt wird. Dagermans Reportagen bestechen einerseits durch die ideologisch ungefilterte Wahrnehmung des Konkreten, des unsäglichen Leidens, andererseits durch die Offenheit, mit der die Frage nach Schuld und Vergeltung, nach Siegerwillkür und Entnazifizierung auf Kosten Unschuldiger bei gleichzeitiger Rehabilitierung von NS-Verbrechern in den Raum gestellt wird. Regisseur Gaumnitz gelingt die Inszenierung dieser Ratlosigkeit auf eindrucksvolle Weise. Statt zu urteilen und zu belehren, läßt der durch künstlerische Elemente wie malerische Einblendungen stark ästhetisierte Dokumentarfilm den Blick über endlose Reihen aus leeren Fenstern starrender Häuserfronten schweifen, kontrastiert Kellerdeutsche (Foto) mit den vor kurzem noch aufmarschierenden Soldaten, greift Einzelschicksale sowohl der Durchschnittsdeutschen als auch der expliziten NS-Gegner heraus und zeigt Kinder mit tieftraurigen, todernsten Gesichtern. Und immer wieder spielt ein Leierkastenmann inmitten der Ruinen. Die unterschiedslose Darstellung des Leidens sowie die Anprangerung auch des alliierten Unrechts heben den Film über die gewohnte Volkspädagogik hinaus und ermöglichen seine atmosphärische Wirkung. Die beeindruckenden, hervorragend aufbereiteten Originaldokumente, die den Menschen inmitten der Ruinen physiognomisch hervortreten lassen, legen zudem einen irritierenden Hauch von Schönheit über die Trümmerlandschaften, so daß der Film verstörend, aber nicht beklemmend wirkt. |