© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Pankraz,
W. Harich und die Wachstumsgrenzen 

Warum wird eigentlich nicht endlich „Wachstum“ zum Unwort des Jahres erklärt? Mit keinem anderen Wort wird ja soviel Mißbrauch getrieben wie mit ihm, vor allem in der Politik. Politiker, die riesige Schulden machen und danach gefragt werden, wie sie diese je wieder tilgen wollen, antworten routinemäßig: „Das Wachstum wird es richten.“ Jeder, der nicht mehr weiterweiß oder alles falsch macht, beruft sich auf Wachstum. Das Wachstum ist der große Wortfetisch unserer Tage. Sogar wenn eine Bilanz nicht nach oben weist, sondern Stagnation oder Minuswerte anzeigt, spricht man nicht etwa von Stillstand oder Verlust, sondern von „Nullwachstum“, bzw. von „Minuswachstum“.

Im modernen deutschen Wortgebrauch ist die Situation besonders fatal. Während beispielsweise die Engländer ihr Wort für Wachstum, growth, vornehmlich auf biologische Tatbestände beziehen und für ökonomische Vorgänge, wie vermehrten Produktausstoß oder ansteigende Kosten, auch den Begriff increase benutzen, also „zunehmen“, „vergrößern“, ist bei uns alles unterschiedslos „Wachstum“.

Dort, wo das Wort herkommt, in der Biologie, bezeichnet es einen fest umrissenen Abschnitt im Werdegang eines lebendigen Organismus. Pflanzen, Tiere, Menschen wachsen, bis sie ausgewachsen, „erwachsen“, sind, ihr von der Natur vorbestimmtes Format erreicht haben. Danach „wachsen“ bei ihnen allenfalls noch Glatzen, Bäuche oder Gehirntumore, aber solche Ereignisse „Wachstum“ zu nennen, wirkt schon ziemlich frivol. Das Wort hat von Haus aus einen freundlichen, jugendfrischen Klang, und sein Einsatz zur Benennung von Phänomenen, die einfach  nur größer, dicker oder schlicht auffälliger werden, ist bereits ein Fehler.

 Auf jeden Fall ist „Wachstum“ ein Wort, das quer steht zu jederlei Grenzenlosigkeit. Ewigkeit oder Unendlichkeit. „Grenzenloses, ewiges Wachstum“ ist ein Widerspruch in sich. Nichts auf dieser Welt kann ewig und über alle Grenzen hinweg wachsen, alles verwandelt sich ab einem bestimmten Augenblick in Verfall, Niedergang, Tod. So kann man vernünftigerweise nur darum besorgt sein, einen erreichten Blütestand umsichtig zu hegen und zu pflegen, um den Umschlag von Wachstum in Niedergang hinauszuschieben.

Dergleichen gilt mit Sicherheit nicht nur für einzelne Organismen, sondern auch für soziale Gruppierungen der verschiedensten Art, nicht nur in der Biologie, sondern auch in der Ökonomie und in der Politik. Die moderne polit-ökonomische Art, prinzipiell und beinahe ausschließlich auf ewiges Wachstum zu setzen und alles von ihm abhängig zu machen, ist – um es vorsichtig auszudrücken – auf Sand gebaut. Was bei solcher Politik „wachsen“ wird, sind tatsächlich nur Glatzen und Gehirntumore.

Aber die Ursachen dafür liegen nicht genuin in der aktuellen Politik: Diese ist vielmehr die logische Folge von Überzeugungen, die gewissermaßen im Mutterboden der Menschheit wurzeln. Menschen bilden in ihrem Zusammenleben Schwärme wie andere Lebensformen auch, doch es fehlt ihnen, im Gegensatz etwa zu Sardellen oder Bienen, die berühmte Schwarmintelligenz, welche spontan, also „wie von selbst“, die Balance zwischen Wachstum und Ernährungsmöglichkeiten zu halten weiß, so daß es faktisch nie zu Übervölkerung und Hungersnöten kommt.

Menschenschwärme, zumindest ihre modernen, zivilisationstechnischen Erscheinungsformen, sind wie Metastasen, die sich immer nur ausdehnen und weiter ausdehnen wollen. „Seid fruchtbar und mehret euch“, heißt die Devise seit biblischen Zeiten, und das Vermehrungstempo wird immer schneller. Noch vor siebzig Jahren gab es lediglich zwei Milliarden Menschen auf der Erde, heute sind es bereits über sieben Milliarden, und der Zuwachs bleibt ungebremst.

 Es herrscht das Prinzip der Gebärkonkurrenz. Wenn es irgendwo einer weisen Regierung gelingt, die Geburtenrate des eigenen Volkes zu beschränken, nutzen das andere Ethnien sofort aus und vermehren sich um so schneller, meist mit der offen erklärten Absicht, das sich weise beschränkende Volk aus seinen angestammten Räumen zu verdrängen („Wir ficken euch einfach weg“). Und jeder Neuankömmling versteht sich in erster Linie als „Konsument“. Er will (außer Nachwuchs) nichts erschaffen, sondern er will konsumieren,  verbrauchen. Das, so glaubt er felsenfest, sei sein unveräußerliches Menschenrecht. Und das Ganze heißt dann Wachstum.

Ökonomie und Politik sind, genau betrachtet, keine Antreiber dieser Art von „Wachstum“, sondern selber Getriebene, zum Teil allerdings auch Nutznießer. Das Gebot „Seid fruchtbar und mehret euch!“ hat notwendig das Gebot „Macht euch die Erde untertan!“ zur Folge. Unentwegt gilt es, neue Ressourcen zu erschließen, die Profitrate zu steigern, auch noch das Letzte  aus einer bestimmten Konstellation herauszuholen. Natürlich fällt dabei persönlicher Gewinn ab, aber der primäre Antrieb für „Wachstum“ ist dieses Gewinnstreben nicht.

Am Anfang steht vielmehr der blinde Wunsch des Kulturtiers Mensch nach Vermehrung und Verbrauch um jeden Preis, durch den jedes arterhaltende Schwarmverhalten unmöglich wird. Wenn die kleinen Endverbraucher und Hungerlöhner aus den Unterschichten nur immer wieder eine „gerechte Verteilung der Gewinne“ einfordern, vertiefen sie das Übel nur, treiben es in die globale Katastrophe. Es geht prinzipiell nicht um die Begrenzung von persönlichen Gewinnen, sondern um die Begrenzung des „Wachstums“, so wie man es heute versteht.

Der verstorbene Marxist Wolfgang Harich, 1956 Anführer des reformatorischen „Tauwetters“ in der verflossenen DDR, hatte das am Ende seines Lebens genau erkannt. Er zog daraus den Schluß, daß uns nur noch ein mit globalen Verbots-Befugnissen ausgestatteter ökologiebewußter Großdiktator mit erbarmungslosen Prätorianergarden retten könne. Vielleicht würde aber schon ein Diktator des genauen Sprechens helfen.

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