© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Signale aus Siebenbürgen
Rumänien: In der alten Heimat der neuen Nobelpreisträgerin Herta Müller sind weiter Zeugnisse der deutschen Kultur lebendig
Martin Schmidt

Daß der Literaturnobelpreis in diesem Jahr der 1953 in Nitzkydorf (Niţchidorf) im Banat (Kreis Timiş/Temeschburg) geborenen Herta Müller verliehen wird, hat auch das Thema der Rumäniendeutschen wieder ins mediale Bewußtsein gerückt. Im Vergleich zu den Anfang des 20. Jahrhunderts ungefähr 900.000 Deutschen im Gebiet des heutigen Rumänien leben inzwischen nur noch etwa 60.000 in der Region – aber ihr kulturpolitisches Gewicht ist erstaunlich. Das höhere deutsche Schulwesen im Banat und in Siebenbürgen (Transilvania/Erdély) überlebte nicht nur die brutale KP-Diktatur Nicolae Ceauescus, sondern auch den Massen­exodus nach der Wende 1990/91.Über 90 Prozent rumänischstämmige Schüler – meist aus den gehobenen Schichten – wachsen heute an den Lyzeen in Temeschburg, Hermannstadt (Sibiu/Nagyszeben) oder Kronstadt (Braov/Brassó) mit der deutschen Unterrichtssprache und den kulturellen Überlieferungen der einheimischen Deutschen auf und machen sie partiell zu ihren eigenen. In der Region Sathmar (Satu Mare/Szatmárnémeti) an der ungarischen Grenze gibt es noch Tausende einst weitgehend madjarisierter Schwaben aller Altersstufen, die nicht ausgesiedelt sind und teilweise wieder zu ihren deutschen Wurzeln zurückfinden. Zwischen Rhein und Oder wirken Rumäniendeutsche wie Herta Müller als Brückenbauer in die alte Heimat und zu Rumänien und dessen Kultur.

Das bis 1919 habsburgische Hermannstadt mauserte sich zum begehrten Standort von Großkonzernen wie Siemens oder Thyssen-Krupp sowie mittlerweile über hundert mittleren und kleinen Unternehmen. Der von Bochum ausgelagerte Nokia-Standort befindet sich allerdings im von zahlreichen madjarisierten Siebenbürger Sachsen bewohnten Klausenburg (Cluj-Napoca/Kolozsvár). Der Tourismus in Hermannstadt ist nicht zuletzt dank der zahlreichen Besucher aus Deutschland inzwischen auf Touren gekommen. Einem zu Monatsbeginn veröffentlichten Tourismusbericht zufolge belegt die „Europäische Kulturhauptstadt 2007“ in diesem Jahr den fünften Platz unter allen als hochrangig eingestuften Kulturzielen auf dem Kontinent.

Politisch wird Siebenbürgen nicht unwesentlich von den Vertretern des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) geprägt, dem zuletzt bei den Kommunalwahlen im Juni 2008 erstaunliche Erfolge gelangen (JF 37/08). In Hermannstadt wurde Klaus Johannis trotz eines minimalen Bevölkerungsanteils der deutschen Minderheit (die Mehrheit sind Rumänen, des weiteren gibt es Ungarn und Zigeuner) in der 170.000-Einwohner-Stadt mit 83 Prozent für eine dritte Amtszeit bestätigt. Im umliegenden Kreis Sibiu amtiert mit Martin Bottesch erstmals ein Deutscher als Präfekt. Insgesamt gibt es in Rumänien seither elf direkt gewählte deutsche Bürgermeister und über 40 Deutsche, die auf der Liste des Forums in Kommunalparlamente einzogen.

In keiner anderen Region der Erde existiert eine ethnische deutsche Minderheitenpartei, die von der Mehrheitsbevölkerung an den Wahlurnen derart großes politisches Vertrauen zugebilligt bekommt – auch das ist erstaunlich angesichts des schweren Schicksals und der Verleumdungen, denen die Rumäniendeutschen ausgesetzt waren.

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