© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Abschied von der Wunschpolitik
Regierungsbildung: Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP wachsen die Spannungen
Tobias Westphal

Die Koalitionsverhandlungen zwischen der CDU/CSU und der FDP stehen unter dem Diktat leerer Staatskassen. Die öffentliche Schuldenlast und die Wirtschaftskrise lassen der künftigen schwarz-gelben Koalition nur geringe Spielräume für die jeweilige Wunschpolitik. Bei der derzeitigen Haushaltslage müßte eigentlich eine Summe von etwa 35 Milliarden Euro eingespart werden, jedoch beharren die Liberalen – wie schon vor Beginn der Verhandlungen – auf Steuerentlastungen. Immerhin hatte die FDP im Wahlkampf von allen Parteien die höchsten Steuerentlastungen versprochen. Aus diesem Grund sind Steuerentlastungen nach wie vor eine Bedingung der Liberalen für eine Koalition mit der Union.

„Wir wollen als FDP eine Koalition – aber nicht um jeden Preis“, drohte dann auch der FDP-Unterhändler der Arbeitsgruppe Steuern und Finanzen, Otto Fricke. Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) soll den Liberalen deswegen angeboten haben, bis zum Jahr 2013 für niedrigere Steuern und Forschung beziehungsweise Bildung allein 20 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt bereitzustellen. Zwei Drittel davon sollen für Steuersenkungen verwendet werden.

Obwohl die Junge Union während ihres Deutschlandtags an diesem Wochenende eine Wahlkampfforderung der FDP nach einem einfachen Steuersystem mit nur drei Steuersätzen wieder aufgreifen möchte, stellte sich schon Ernüchterung bei den Koalitionsverhandlungen ein. So sagte Hermann Otto Solms, FDP-Finanzpolitiker und Anwärter für das Amt des Bundesfinanzministers, daß die Liberalen ein einfacheres Steuersystem mit nur noch drei Sätzen in dieser Legislaturperiode nicht mehr für realisierbar halten.

Geeinigt hat sich die Koalition offenbar darauf, daß das Kindergeld angehoben werden soll. Fraglich ist, wie hoch der Kinderfreibetrag zukünftig bei der Steuer angesetzt werden darf. Statt derzeit 6.024 Euro könnten zukünftig 8.004 Euro geltend gemacht werden. Angeblich soll jedoch wegen der leeren Kassen der Kinderfreibetrag nur an die jährliche Teuerung angepaßt werden, und auch der Kindergelderhöhung droht die Verschiebung. Bei Bildung und Forschung soll jedoch nicht gespart werden; bis zum Jahr 2015 sollen die Ausgaben von Bund und Ländern auf bis zu zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Unternehmen, die forschen, könnten Steuergutschriften erhalten.

In der Innenpolitik beziehungsweise der inneren Sicherheit ist man sich noch längst nicht einig. Schon vor Beginn der Verhandlungen hatten Hessens Ministerpräsident Roland Koch und sein Innenminister Volker Bouffier (beide CDU) vor einer Aufweichung der Sicherheitsgesetze gewarnt. Die deutschen Sicherheitsbehörden dürften nicht „künstlich dümmer gemacht werden“, sondern müßten in der modernen Überwachung und deren Möglichkeiten noch besser werden, mahnten Koch und Bouffier. Man streitet unter anderem über die Online-Durchsuchung, die Vorratsdatenspeicherung und auch über die Forderung der Union, die Bundeswehr in bestimmten Fällen im Inland einsetzen zu dürfen. Einig geworden ist man sich bisher nur, daß das Waffenrecht erst in zwei Jahren wieder auf dem Prüfstand steht und daß man Vermieter gegen Mietnomaden schützen müsse. Wie dies geschehen soll, bleibt jedoch noch unklar.

Nach dem kategorischen „Nein“ der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegenüber dem Anliegen der FDP, den Gesundheitsfonds abzuschaffen, rückt die FDP von dieser Forderung ab. Der Fonds wird somit nicht abgeschafft, sondern soll „nachgebessert“ werden. Doch die CSU möchte nicht nur nachbessern, sondern fordert weiter einen kompletten Umbau. „Wenn man den Fonds behalten will, muß es grundlegende Änderungen geben“, sagte der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder (CSU). Es ist wahrscheinlich, daß man sich in der Koalition nur auf die groben Eckpunkte einigt und sich erst im Jahr 2010 zusammensetzt, wie ein Umbau des Gesundheitsfonds vonstatten gehen könnte.

In der Energiepolitik scheint festzustehen, daß der von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene Atomausstieg rückgängig gemacht wird. Als Begründung wird angeführt, die Kernenergie sei derzeit ein unverzichtbarer Bestandteil des Energiemix, jedoch sei es auch das Ziel der FDP, langfristig zu einer Energieversorgung auf Basis der erneuerbaren Energien zu kommen. Die Bedingungen für einen Ausstieg aus dem Atomausstieg sind noch nicht endgültig geklärt. Die Liberalen knüpfen an eine begrenzte Laufzeitverlängerung die Forderung, daß jedes Kernkraftwerk einer Sicherheitsprüfung (zum Beispiel zum Schutz gegen Flugzeugabstürze) standhalten muß. Statt dessen hört man aus Unionskreisen, daß es unbegrenzte Laufzeiten geben könnte; im Gegenzug dafür müßten die Energieversorger – privatvertraglich geregelt – über 50 Prozent der zusätzlichen Gewinne in regenerative Energieprojekte investieren.

Bis zum 9. November sollen nach dem Wunsch der Bundeskanzlerin die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sein. Man darf gespannt sein, ob Guido Westerwelle recht behält, wenn er betont, „daß die Gründlichkeit im Interesse unseres Landes viel wichtiger ist als die Frage, ob wir uns ein paar Tage länger auf den Hosenboden setzen und verhandeln“.

Foto: Merkel und Westerwelle: Diskussion über Sicherheitsgesetze

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