© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Peter Furth. Der Philosoph gehört zu den wenigen wirklichen Widergeistern der Republik
In Trojas Ruinen
Thorsten Hinz

Seinen aktuellen Gemütszustand faßt der Berliner Sozialphilosoph Peter Furth in die Sätze: „Was man der Resignation hoch anrechnen muß: Sie bewahrt den Fatalismus vor dem Zynismus.“ Der Aphorismus ist nachzulesen in seinem Buch „Troja hört nicht auf zu brennen“, das 2008 im exquisiten Berliner Landtverlag erschien und von einer souveränen Metaebene aus das neurotisierte deutsche Bewußtsein thematisiert. Sein Scharfsinn und die sprachliche Eleganz lassen an Gehlens „Moral und Hypermoral“ denken, doch Furth hat andere, marxistische Wurzeln.

Zwei Umstände haben den 1930 in Berlin geborenen Furth davor bewahrt, selber dem falschen Bewußtsein zu verfallen. Seine Eltern verhinderten die enge Berührung mit den NS-Jugendorganisationen, was ihn, den von Natur aus geselligen Menschen, manchmal bitter ankam. Dafür hatte er es nach 1945 nicht nötig, mit Penetranz die Abkehr vom Jugendirrtum zu demonstrieren. Unbefangen konnte er auf die Vielfalt der Verhaltensweisen unter der NS-Diktatur zurückblicken. Und obwohl er – als Sohn kleiner Leute – seit dem Studium an der Freien Universität Berlin eindeutig links stand und dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) angehörte, hatten seine akademischen Lehrer ihm einen strengen Begriff von geistiger Arbeit vermittelt, der die totale Politisierung seines Denkens verhinderte.

Die Dissertation, die er 1957 unter Theodor W. Adorno am Frankfurter Institut für Sozialforschung verfaßte, ist daher trotz ihrer antifaschistischen Prämissen bis heute lesenswert. Sie handelt von der 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP). Furth arbeitete klar die Alternativen der Bundesrepublik heraus: entweder auch die geistig-moralischen Vorgaben der westlichen Alliierten nachzuvollziehen oder – wie von der SRP gefordert – die eigene Situation als die des Besiegten zu begreifen und ihre Überwindung anzustreben. Furth, der damals noch einem simplifizierten Marxismus-Begriff folgte, erschien die zweite Alternative nur als Versuch, die kapitalistische Entfremdung durch eine kollektivistische Ideologie zu kompensieren. Die Kulturrevolution im Gefolge von 1968, die er – seit 1973 als Professor für Sozialphilosophie – aus unmittelbarer Nähe in Berlin erlebte, veränderte seinen Blick auf die deutsche Frage. Dem Betreuer der Doktorarbeit Rudi Dutschkes stach der geistfeindliche und lumpenproletarische Einschlag vieler Aktivisten ins Auge, und als Linken enttäuschte ihn die Einsicht, daß die Vergangenheitsbewältigung auf die „Bewirtschaftung der Toten“ und auf die Ökonomisierung der intimsten Bereiche hinausläuft.

Das Negieren der deutschen Opfer widerspricht dem Gebot Antigones, das Totengedenken über alle politischen Konjunkturen zu stellen, und steigert die Verwertungslogik zum totalitären Selektionsprinzip. Furths luzide Zeitkritik bietet einen Ansatz, den drückenden deutschen Geschichtsfatalismus endlich zu überwinden.

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