© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Kolumne
„Dogru söyleyeni dokuz köyden kovarlar“
Rolf Stolz

Sie verstehen die Überschrift nicht? Nun, sie ist nur eine halbe Sache – in einer fremden Sprache, auf türkisch. Der Rest fehlt. Aber bitte, lassen Sie sich nicht davon abhalten, daß Sie von der Sache nichts kapieren, daß Ihnen Informationen fehlen. Schwafeln Sie munter drauflos! Vielleicht sind Sie ja SPD-Bundestagsabgeordneter und heißen Sebastian Edathy, oder Sie sind Generalsekretarius des ZdJiD und heißen Stephan Kramer, oder Sie sind sogar der Regierende selbst, der Berliner Problembär, unser Wowi – dann ist es gut so und die heiße Luft darf heraus. Predigen Sie jedenfalls munter Haß gegen Thilo Sarrazin, denn der mißversteht die freie Rede als freie Meinungsäußerung und nicht als freizügige, aber strikt korrekte Sprechblasen-Fertigmontage!

Was er gesagt hat, lesen Sie besser nicht. Halten Sie sich nicht auf mit der Frage, ob man im Lärm der Medienmaschinerie überhaupt gehört wird, wenn man nicht zuspitzt und provoziert. Ersparen Sie sich die komplizierte Überlegung, ob sich nicht unter einzelnen Übertreibungen Wahrheiten verbergen könnten. Was Sarrazin sagt, tut weh und ist deshalb falsch und damit aus die Maus. Da behauptet doch ein Professor Wolffsohn, er als Jude fühle sich nicht vertreten durch Herrn Kramer, denn der habe nicht alle Tassen im Schrank.  Man könne nicht Sarrazin mit Hitler vergleichen, wie Kramer dies tue. Aber Herr Professor, wie soll man sonst mit unangenehmen Tatsachen fertigwerden?

Ein Schlag mit der Nazi-Keule – alles ist gesagt, und keiner macht mehr den Mund auf. Faulpelze Faulpelze nennen, Integrationsunwillige Integrationsunwillige – das geht nun wirklich nicht, das ist soziale Diffamierung. Sagt Wowereit, und der kennt sich damit aus.

Sie meinen, die Hälfte der Deutschen gebe Sarrazin recht und zwei Drittel fänden es gut, daß er eine Debatte über Integration angestoßen hat – nur ein knappes Viertel wolle ihm den Mund verbieten? Darauf kommt es doch nicht an! Entscheidend ist die Wahrheit, und wie die aussieht, bestimmt der Staatsanwalt. Der ermittelt schon gegen Sarrazin. Wir jedenfalls sind glücklich darüber. Und daß glückliche Sklaven die erbittertsten Gegner der Freiheit sind – das wußte schon Marie Ebner-Eschenbach. Ach ja, der fehlende Rest zur Überschrift. „Doğru söyleyeni dokuz köyden kovarlar“, heißt die türkische Volkswahrheit: „Wer die Wahrheit sagt, wird aus neun Dörfern vertrieben.“ Also bitte: Vorsicht mit Wahrheiten!

 

Rolf Stolz war Mitbegründer der Grünen und lebt heute als Publizist in Köln.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen