© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/09 09. Oktober 2009

Am Rande der Erschöpfung
„Ausgebrannte“ Polizisten: Stellenabbau, hohe Einsatzbelastungen und zunehmende Gewaltbereitschaft forcieren den Krankenstand
Tobias Westphal

Früher hat man den ‘Schutzmann’ noch gegrüßt.“ Diesen Satz hört man vor allem von älteren Menschen, die damit ausdrücken möchten, daß man früher noch Respekt vor einem Polizeibeamten hatte und die erstaunt im Polizeibericht der örtlichen Zeitung lesen, was den Beamten in den vergangenen Tagen und Nächten widerfahren ist.

Der normale Polizeialltag besteht aus der Beendigung von Ruhestörungen, dem Verfolgen von angetrunkenen Randalierern, dem Schlichten von Streitigkeiten, Aufnehmen von Sachbeschädigungen und Verkehrsunfällen. Doch es kann auch schlimmer kommen: Gewalt in Familien, Suizid, Überbringen von Todesnachrichten, Verbrechen an Kindern und Gewaltverbrechen mit Schwerverletzten. Auch die Angst um die eigene Sicherheit gehört zum Alltag, nicht nur bei gewalttätigen Demonstrationen – wie der Kopfschuß auf einen Polizeibeamten Ende September in Passau vor Augen führt. Polizisten müssen alltäglich in die Abgründe des menschlichen Seins blicken und übernehmen eine Aufgabe für unseren Staat.

Zwar war dieser Polizeialltag auch früher schon so, aber Respektlosigkeiten gegenüber Polizisten haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Verbale Bedrohung, körperliche Gewalt und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte scheinen – vor allem bei Demonstrationen oder „spontanen“ Aufläufen nach Festnahmen – heute zur Normalität zu gehören. Polizeibeamte kommen nach einer Zwölf-Stunden-Schicht oft erschöpft nach Hause; auch dann, wenn sie Glück hatten und es eine Schicht „ohne Personenschaden“ war. Doch es häuft sich noch eine andere Art der Erschöpfung; das sogenannte Burnout-Syndrom, das „Ausgebranntsein“.

Ein Burnout-Syndrom ist ein Zustand ausgesprochener emotionaler Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit, das als Endzustand einer Entwicklungslinie bezeichnet werden kann, die mit idealistischer Begeisterung beginnt und über frustrierende Erlebnisse zu Desillusionierung, psychosomatischen Erkrankungen, Depression oder Aggressivität und einer erhöhten Suchtgefährdung führt. Merkmale des „Ausgebranntseins“ sind eine körperliche und emotionale Erschöpfung, von der man sich nicht erholt, und eine daraus resultierende dauerhafte Antriebsschwäche. Zynismus und eine ablehnende Grundstimmung gegenüber Kollegen und der eigenen Arbeit sind weitere Indizien.

Laut einer aktuellen Studie, die von der Österreichischen Polizeigewerkschaft  durchgeführt wurde, befinden sich 23 Prozent der Polizisten im beschaulichen Salzburg in einem „Zustand emotionaler Erschöpfung“ und haben „ein erheblich reduziertes Selbstwertgefühl in bezug auf die eigene berufsbezogene Leistungsfähigkeit“.

Schon in einer Studie über eine Kölner Polizeiinspektion aus dem Jahr 2002 (Studie der Fernuniversität Hagen „POLIS Polizei im Gespräch 1999–2002“ von Gerd Wiendieck) sprachen mehr als 16 Prozent der Befragten von einem „Ausgebranntsein“. Dieses Gefühl der Erschöpfung entstand nach Ansicht der Befragten durch eine zunehmende Respektlosigkeit sowie durch Beleidigungen und Beschimpfungen gegenüber den Beamten. Als weiteres Ärgernis wurde die als unzureichend empfundene Ausstattung genannt; dies wurde als Geringschätzung durch den Dienstherrn empfunden. In der Studie wurde aufgezeigt, daß die Polizisten nicht selten das Gefühl haben, auf weiter Flur alleine für Recht und Ordnung sorgen zu müssen. Oft lasse die Justiz die gefaßten Straftäter zu schnell wieder frei.

Gerade Polizisten sind eine gefährdete Berufsgruppe, denn diese gehören zu der sogenannten „Helfergruppe“. Helfer (Feuerwehrleute, Ärzte) möchten sich um andere kümmern und stellen dabei eigene Wünsche zum Wohle anderer zurück. „Polizisten sind burnout-gefährdet“, bestätigt auch Thomas Gärtner, Chefarzt an der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik in Bad Arolsen. Die Betroffenen haben häufig sehr hohe Ansprüche an sich und andere und verfügen über eine große Leistungsbereitschaft; anfangs besteht eine idealistische Begeisterung für ihren Beruf, sie identifizieren sich mit ihm und engagieren sich stark. Nach den ersten Enttäuschungen kommt es zu einem Stillstand, der sich später in Frustration umwandeln kann. Die Gründe für die Enttäuschungen oder die Frustration können ebenso zahlreich wie unterschiedlich sein.

Die Autoren der Studie „Arbeitsbelastungen, Burnout und PTBS in der Bundespolizei“ aus dem Jahr 2008 (Netzwerk Psychosoziale Notfallversorgung, Band 3: „Belastungen und Belastungsfolgen in der Bundespolizei“; Hrsg. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) haben aufgezeigt, daß von allen Arbeitsplatzbelastungen die arbeitsorganisatorischen Entscheidungsrestriktionen quantitativ gesehen die größte Bedeutung haben.

Zum Beispiel können Probleme mit der internen Bürokratie und mangelnden Anerkennung durch die Bevölkerung oder den Arbeitgeber Frustration auslösen. Streß im Beruf kann auch dadurch entstehen, daß die Arbeitsanforderungen die eigenen Fähigkeiten übersteigen; Schicht- und Wochenenddienst (Sondereinsätze wegen Demonstrationen oder bei Fußballspielen), eine ineffiziente Arbeitsorganisation und eine oftmals als sinnlos eingestufte Verwaltungsarbeit fördern den Burnout.

Bei der Bundespolizei liegt der Anteil der Personen, die ihre Arbeit als wenig effizient einschätzen, deutlich über anderen Vergleichsgruppen. Durch Überstunden und Wochenenddienste kommt zudem das Privatleben zu kurz, Scheidungen sind bei Polizisten berufsbedingt daher keine Seltenheit.

Auch kommt bei Polizisten dazu, daß Gewalt und die Angst vor Gewalt den Streß verstärken. Nach Angaben des Bundeskriminalamts stieg die Zahl der Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt zwischen 1997 und 2005 um rund 25 Prozent. In der Hansestadt Hamburg hat die Gewalt gegen Polizisten sogar dramatisch zugenommen; die Zahl der Delikte gegen Staatsdiener stieg seit 1999 bis heute um mehr als 40 Prozent.

Daß sich die Gewalt zuspitzt, ist um so bedeutsamer, da bei Polizisten in sozialen Brennpunkten die Gefahr besteht, daß Professionalität in Aggressivität umschlägt. In der Kölner Studie haben zwischen 15 bis 20 Prozent der befragten Polizisten angegeben, aggressive Gewaltanwendung sei in ihrem Umfeld vorstellbar. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob die namentliche Kennzeichnungspflicht von Polizisten (JF 40/09) hilft, einzelne Beamte zu zügeln. Der Dienstherr kann sicher auch auf andere Art und Weise dazu beitragen, daß es zu keinen Überreaktionen durch Polizeibeamte kommt.

Die Folgen des Burnout sind körperliche Beschwerden, Eßprobleme und Alkoholkonsum. Die Betroffenen haben das Gefühl von Sinnlosigkeit, es kommt zu Reizbarkeiten, man reagiert zynisch und zieht sich zurück. Regelmäßig sind die Betroffenen unzufrieden mit ihrer Leistung, und am Ende kommt es auch tatsächlich zu einer reduzierten Leistungsfähigkeit. Vermehrte Fehlzeiten sind die Folge.

Die Polizeibeamten in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel sind nach Angaben der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) auffällig oft krank. Mindestens 20 Prozent der rund 38.000 Polizisten im Land seien häufiger als sechs Wochen im Jahr dienstunfähig; Hunderte Beamte viele Monate dauerhaft krank, erklärte DPolG-Chef Rainer Wendt. Somit fielen Jahr für Jahr circa 8.000 Polizisten über lange Zeit aus.

Die längeren Krankheitszeiten der Polizeibeamten resultieren nach Angaben des Innenministeriums aber auch daraus, daß die Beamten im Außendienst bei Krankheit länger als normale Arbeitnehmer krankgeschrieben werden müssen. Denn nur völlig gesunde Beamte seien für den Außendienst einsetzbar, erklärte ein Ministeriumssprecher.

Die Polizeigewerkschaft betont, daß immer mehr Arbeiten und Einsätze von Polizisten verlangt werden; die Anforderungen an den Polizeiberuf nehmen ständig zu. Insbesondere an den Brennpunkten sei dies erkennbar – in den Ballungsräumen unserer Großstädte führt die hohe Einsatzbelastung nachweislich zu hohem persönlichen Verschleiß und daraus resultierenden Erkrankungen.

Kein gutes Zeugnis für die politischen Verantwortlichen, die in den letzten Jahren bei Bund und Ländern bundesweit 9.000 bis 10.000 Polizeistellen abgebaut haben. „Ich wundere mich, daß alle so gut schlafen können“, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, in einem Interview mit dem Online-Portal derwesten.de im Hinblick auf die zunehmende Gewalt- und Internetkriminalität, die sich häufenden Großeinsätze und fehlenden Sondereinsatzkommandos in der Terrorbekämpfung. Freiberg fordert mehr Personal und eine bessere technische Ausstattung.

Doch wie soll das gehen? Freiberg jedenfalls scheint hoffnungsfroh: „Ich sehe an Äußerungen aus der letzten Zeit, daß Frau Merkel und Herr Westerwelle auch der Ansicht sind, daß Schluß mit Kürzungen sein muß. Das ist gut so.“

 

Stichwort: Studie „Gewalt gegen Polizisten“

„Die Entwicklung der Gewaltkriminalität gegen Polizeibeamte und der nachlassende Respekt ist besorgniserregend“, erklärte Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) Anfang September in Stuttgart und verwies darauf, daß die Zahl der verletzten Polizeibeamten im Fünf-Jahres-Vergleich im Jahr 2008 um über zehn Prozent gestiegen sei. Aufgrund dessen beteilige sich Baden-Württemberg derzeit an einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, in deren Rahmen alle betroffenen Polizisten des Landes angehört werden sollen. Erste Ergebnisse sollen dann auf der Innenministerkonferenz im Dezember vorgestellt werden.

Foto: Erschöpfte Polizisten nach einer langen, gewalttätigen Krawallnacht (1. Mai 2000 im Hamburger Schanzenviertel): Zufriedenheit im Berufsleben sieht anders aus

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