© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/09 09. Oktober 2009

Michael Haneke. Das neue Werk des Ausnahme-Filmemachers kommt in die Kinos
Der Alpträumer
Martin Lichtmesz

Michael Haneke war immer schon mehr daran interessiert, sein Publikum zu bestrafen, als es zu unterhalten“, urteilte die New York Times über den Filmemacher. „Seine Spezialität ist eine besonders ungefilterte und perverse Form des filmischen Sadismus, die uns sogar noch um das Vergnügen unseres eigenen Masochismus bringt.“

Wer im Kino Entspannung und Zerstreuung sucht, sollte die Filme des 1942 in München geborenen und im niederösterreichischen Wiener Neustadt aufgewachsenen Regisseurs meiden. Für Haneke ist der Film annähernd das, was für Kafka die Literatur war: eine „Axt für das gefrorene Meer in uns“. Entsprechend unerbittlich schlagen seine Arbeiten voller Angst, Gewalt und sozialer Kälte zu. Haneke ist einer der letzten Meister des düster-gravitätischen Zweigs des europäischen Autorenkinos, für den Namen wie Robert Bresson, Michelangelo Antonioni oder Ing­mar Bergman stehen. Im Sinne dieser Tradition sieht Haneke seine Arbeit auch als polemischen Gegenentwurf zum Konsumfilm amerikanischer Machart.

Schon seine frühen, in Österreich gedrehten Werke wie „Der siebte Kontinent“ (1989) und „Bennys Video“ (1992) trugen ihm den Ruf eines „Kulturpessimisten“ ein. In der Tat gibt es nur wenige zeitgenössische Regisseure, die die zerstörerischen Kehrseiten des gesellschaftlichen Liberalismus in so finsteren, kalten Farben gemalt haben wie er. Die dünne Schicht der Zivilisation ist in seinen Filmen beständig am Abblättern, die zwischenmenschliche Entfremdung schier unheilbar geworden, die Sinnzusammenhänge in sich zusammengestürzt, während die Medien eine zunehmend verrohende Wirkung ausüben. In „Code: unbekannt“ (2000) wird der moderne Mensch zum entorteten Nomaden, der die Wirklichkeit nur mehr fragmentarisch wahrnehmen kann. Dabei überschreitet Haneke in seinen Inszenierungen gern die Grenze zum Manierierten und zum Miserabilismus.

So auch in seiner jüngsten, in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Arbeit „Das weiße Band“, seinem ersten Film in deutscher Sprache seit zwölf Jahren, der kommende Woche in den Kinos anläuft. Angesiedelt in den Jahren 1913/14 in einem protestantischen Dorf in Norddeutschland, wärmt Hanekes neues Werk implizit die Uralt-These von der Geburt des „Faschismus“ aus dem Geiste der „Schwarzen Pädagogik“ auf, indem er zeigt, wie sich übertrieben bestrafte und verängstigte Kinder in zwanghafte Sadisten verwandeln. Herausgekommen ist, wie stets bei Haneke, eine technisch virtuose Kopfgeburt, deren Grau-in-Grau-Darstellung des alten, wilhelminischen Deutschland im Ausland trauriger- und bezeichnenderweise als „ein erzdeutscher Film über die Deutschheit“ (so das dänische Blatt Politiken) gewertet wird. Trotz der konservativen Grundierung seiner Kulturkritik zeigt sich hier, wie sehr der vom Thema „Schuld und Verdrängung“ besessene Regisseur in den üblichen Bewältigungsdogmen befangen ist.

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