© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/09 02. Oktober 2009

DVD-Start von „Chaostage“: Verklärte Blicke auf „Asi-Punks“ und „Nazi-Skins“
Der Punk ist schon lange tot
Toni Roidl

Aktuell läuft mit viel Werbe-Tamtam die DVD-Vermarktung eines deutschen Spielfilms aus dem vorigen Jahr: „Chaostage“ erzählt nach dem Roman von Moses Arndt die Geschichte eines Randale-Rituals im Pogo-Rhythmus. Als Punker, Skinheads und Polizisten sehen wir die Elite der deutschen Film- und Fernsehschauspieler: Ralf Richter, Martin Semmelrogge, Claude-Oliver Rudolph oder Rolf Zacher. Die Geschichte ist belanglos: Es geht um den „Nazi-Skin“ Eddie, den „Asi-Punk“ Mitch und Anita, die zwischen beiden steht. Und dann ist da noch Brunner, der cholerische „Bulle“. Doch die Hauptrolle spielt die Hintergrundhandlung.

Daher sind die wahren Hauptdarsteller auch Punks von der Straße. Deren Besetzung war schwieriger als die der Stars. Regisseur York Harley: „Ich hatte kein’ Bock auf so Schlapp-Iro-Krüppel.“ Und die Akteure, die er fand, „waren sogar in der Lage, ganze Sätze zu sprechen“. Ein Kinderspiel war dagegen die Suche nach Produzenten: „Heute wird man ja beim ZDF nicht mehr Chefredakteur, wenn man nicht mindestens sechs Wochen Punk war. Insofern stieß das Projekt auf offene Ohren. Auch die Polizei hat uns großzügig mit Fahrzeugen unterstützt.“

Die FSK bewertete den Film als „sinnlose Aneinanderreihung von Gewalt- und Sexszenen“. Die Kinopremiere 2008 löste einen echten Chaostag aus: Etwa hundert Punks, die keinen Einlaß mehr zu dem vollen Saal bekamen, rasteten aus und lieferten sich mit der Polizei eine heiße Schlacht – eine PR-Eventagentur hätte es nicht perfekter arrangieren können.

Die historischen Chaostage waren weniger spaßig als die Filmversion. 1983 tauchten in der ganzen Bundesrepublik Flugblätter mit dem Punk-Ruf nach Hannover auf. Die Trennung von Punks und Skins und ihre gegenpolige Politisierung waren noch im Prozeß und um so sensibler. Die Skinhead-Szene mobilisierte Störtrupps; die Punks appellierten an alle neutralen Skins, sich durch weiße Armbinden kenntlich zu machen, worauf die rechtsextremen Glatzköpfe solchen „Verrätern“ mit schlimmster Rache drohten.

Die Szene schwirrte vor Drohungen und Gegendrohungen. Die Polizei hatte inzwischen auch Wind von der Sache bekommen und drohte ihrerseits mit robustem Durchgreifen – die Linken hatten noch keine hohen Polizeiämter erobert, und Deeskalations-Geschmuse war noch unbekannt.

Entsprechend explosiv war die Stimmung, besonders weil es schnell langweilig wurde. Die Punks zogen ziel- und planlos durch Hannovers Innenstadt, der einzige organisierte Tagesordnungspunkt war Saufen. Das Jugendzentrum Glocksee, das ein Konzert für die Punks veranstaltete, wurde von marodierenden „Gästen“ total verwüstet.

Skurrile Anekdote am Rande: Ein festgenommener Randale-Punker entpuppte sich im Zivilberuf als Polizist!

Um der wüsten Collage aus Randaleszenen irgendwie einen dokumentarischen Anstrich zu verpassen, tauchen in dem Film Interviewpassagen mit Zeitzeugen auf. Darunter rüstige Punk-Veteranen wie der kernig-kauzige Münchner Erich Zander (geb. 1955) oder Jazz-Ulknudel Helge Schneider. Und Karl Nagel. Nagel, bürgerlich Peter Altenburg, ist ein vielseitiger agiler Künstler unter den bunthaarigen Bahnhofs-Bierleichen und war Spiritus rector der ersten Original-Chaostage (www.karlnagel.de).

Heute, mit fast fünfzig Jahren und als Vater einer Tochter, steht Nagel der Punkszene immer noch nahe, ist aber gleichzeitig einer ihrer größten Kritiker. Nagel zur Punker-Partei APPD: „Der früher nur parodierte und gespielte Irrsinn ist bei denen mittlerweile echt. Die kapieren ihre eigenen Witze nicht mehr.“

Zur Kritik an seinen Gesprächstreffen mit Rechtsextremen: „War interessant, und ich habe dadurch einiges verstanden. Arme Schweine, die einem das verbieten wollen!“ Zu Punktreffen mit vorgeblich politischem Anlaß: „Am Ende geht’s doch immer darum, soviel Alkohol wie möglich auf möglichst ungepflegte Weise zu vernichten.“

Delirium statt Dynamik: Punk als Jugendkultur mit kreativem Potential und der Erneuerungskraft der Sex Pistols ist endgültig tot – spätestens seit im Jahr 2004 ausgerechnet die Kulturstiftung des Bundes in Kassel zu einem mehr als spießigen Punk-Symposium mit akademischen Vorträgen mittlerweile arrivierter Ex-Punk-Akademiker bat.

Auch der „Chaostage“-Streifen mit seiner klamaukigen Nostalgie kann die Legende nicht mehr zum Leben erwecken. Gelebt wird der Mythos heute nur noch von „Schlapp-Iro-Krüppeln“.

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