© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/09 02. Oktober 2009

Herta Müller. Die preisgekrönte Autorin erinnert an das Schicksal der Rumäniendeutschen
Mutter der Vergessenen
Jörg Bernhard Bilke

Als das donauschwäbische Schriftstellerehepaar Richard Wagner und Herta Müller noch im kommunistischen Rumänien lebte, bekamen sie eines Tages Besuch von einem Freund. Richard Wagner, der die Unterhaltung bestritt und schon fünf Buchveröffentlichungen vorweisen konnte, wurde schließlich gefragt, was denn seine Frau „so mache“ – die erst 1982 in Bukarest ihren ersten Erzählungsband „Niederungen“ veröffentlichen sollte. Ach, so soll Wagner abschätzig geantwortet haben, die schreibe auch.

Heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, hat sich das Verhältnis umgekehrt. Der inzwischen geschiedene, 1952 in Perjamosch im Banat geborene Wagner (JF 28/06), der seit der Ausreise 1987 in Berlin lebt, hat zwar immerhin 31 Bücher veröffentlicht (Gedichte, Romane, Essays). Aber weit mehr Bekanntheit erlangte die aus Nitzkydorf im Banat stammende Herta Müller, wenn auch mit „lediglich“ 22 Buchtiteln (Erzählungen, Romane), die inzwischen auch in Berlin wohnt. Am vergangenen Sonntag erhielt die 56jährige Autorin der rumäniendeutschen Literatur in Düsseldorf aus der Hand des früheren Kulturstaatsministers Michael Naumann nun die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft als „politische Poetin“.

Schon vor ihrer Ausreise 1987 wurde Müller mit deutschen Literaturpreisen ausgezeichnet, bis 2009 erhielt sie 22, unter denen nur noch der Bremer Literaturpreis und der Georg-Büchner-Preis fehlen.

Ihr jüngster Roman „Atemschaukel“ erschien im August im angesehenen Hanser-Verlag und erzählt die Leidensgeschichte des 17jährigen Leo Auberg, der 1945 als Zwangsarbeiter mit 70.000 Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen in die Sowjet-union verschleppt wurde, wo er in Kohlebergwerken und in Fabriken arbeiten mußte. Bei eisiger Kälte wurden die Deutschen noch vor Kriegsende deportiert, die Frauen zwischen 18 und 30 Jahren alt, die Männer zwischen 17 und 45. Zwölf Prozent von ihnen sollten an Kälte, Hunger oder Erschöpfung sterben.

Weil ihre Mutter fünf Jahre in einem Arbeitslager hatte verbringen müssen, hörte Herta Müller schon als Kind von dieser Tragödie. Die eigentliche Stoffsammlung setzte 2001 ein, als sie Berichte von Deportierten aus ihrem Heimatdorf aufzuzeichnen begann, und schließlich führte sie Gespräche mit dem siebenbürgischen Dichter Oskar Pastior, der selbst verschleppt war.

Entstanden ist dabei ein Roman – kein Sachbericht, wie ihn Freya Klier mit ihrem Buch „Verschleppt ans Ende der Welt“ (1996) vorgelegt hat –, der von der Literaturkritik einhellig als „atemberaubendes Meisterwerk“ (Michael Naumann) bezeichnet wird. Vornehmlich ist es die Sprache, ein reines und unverfälschtes Deutsch, wie es in den deutschen Sprachinseln Osteuropas durch die Jahrhunderte bewahrt wurde, die den Leser berührt. Vor dieser Schriftstellerin, die Stück für Stück die kommunistische Vergangenheit ihrer Heimatregion aufarbeitet, muß man den Hut ziehen!

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