© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/09 18. September 2009

Die weiße Abwrackprämie
Landwirtschaft: Die EU versucht mit milliardenschweren Exportsubventionen vergeblich, den Milchmarkt zu entlasten
Harald Ströhlein

Deutschland und Frankreich sind vorige Woche mit ihren Forderungen nach konkreten Schritten zum Stopp des Milchpreisverfalls (JF 23/09) im EU-Agrarministerrat in Brüssel abgeblitzt. Nur sechs der 27 Mitgliedstaaten hätten sich für ein Aussetzen der schrittweisen Erhöhung der Milchquoten ausgesprochen, erklärte Agrarministerin Ilse Aigner. Gescheitert sei letztlich auch die EU, „die offensichtlich keine Notwendigkeit sieht, die schwierige Lage zu lösen“, meinte die CSU-Politikerin mit Blick auf die Lage der deutschen Milchbauern, die unter einem existenzbedrohenden Preisverfall leiden.

Schon seit Januar versucht die EU mit milliardenschweren Exportsubventionen vergeblich, den mit Milch und Milchprodukten übersättigten Binnenmarkt zu entlasten. Mit der Neuauflage der Exporterstattung setzen die EU-Kommissare die verkorkste Brüsseler Milchpolitik mit ihrer kontinuierlichen Milchquotenaufstockung (bis zur völligen Freigabe der Produktionsobergrenzen 2015) nur konsequent um. Denn durch die Öffnung des Milchventils drohen Milchseen und Butterberge – unschöne Relikte aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts –, die man nicht wieder haben will.

So gesehen ist es durchaus verständlich, wenn nun 1,5 Milliarden Euro Steuergeld ausgegeben werden, um den EU-Binnenmarkt vor dem Totalbankrott zu bewahren. Die Exportsubventionierung ist nicht nur ein Kind der Agrarwirtschaft. Es handelt sich um ein marktpolitisches Instrumentarium, mit dem zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden können: Während der Inlandsmarkt von der Überproduktion entlastet wird, können gleichzeitig Marktanteile in fremden Ländern nicht nur stabilisiert, sondern sogar neu akquiriert werden.

Gleichwohl sind Exporterstattungen nicht unumstritten. Sie sind ein Dorn im Auge derer, die sich dem globalen Handelsliberalismus unter dem Dach der Welthandelsorganisation (WTO) verschrieben haben. Zu Recht, denn die Exportstützung konterkariert die bereits 1993 ausgehandelten Gatt-Abkommen im Rahmen der damals etablierten Uruguay-Runde, Exportstützungen im nennenswerten Umfang zu kürzen. Ende Dezember 2005 hatten sich die Handelsminister sogar zur gänzlichen Abschaffung von Exportsubventionen durchgerungen.

Mit der konsequenten Umsetzung dieser Beschlüsse im vorigen Jahr befand sich die EU auf tugendhaftem Kurs, den sie aber seit Januar dieses Jahres aufgekündigt hat. Daß man sich außenpolitisch dabei auf dünnem Eis bewegt, wurde an der prompten Reaktion Rußlands offenbar, das die exportsubventionierten EU-Milchprodukte mit Strafzöllen sanktionierte. Die EU gerät so bei künftigen WTO-Gesprächen in eine defensive Verhandlungsposition. Dabei bewegen sich die Exporterstattungen in Menge und Wert noch innerhalb der vorgegebenen Obergrenzen. Und auch andere WTO-Staaten kurbeln ihre Ausfuhren über direkte wie indirekte Beihilfen an.

Wie eine aktuelle Studie des Instituts für Ernährung und Markt an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft dokumentiert, führen vor allem die USA einen ambitionierten Kampf um Marktanteile für Milchprodukte in Drittländern. Neben direkten Exportsubventionen, die zunächst bis Juni 2010 verlängert wurden, greift der amerikanische Staat seinen Milchproduzenten unter die Arme, indem der heimische Markt durch weitere, indirekte Maßnahmen wie Nahrungsmittelhilfen und staatlich subventionierte Exportkredite entlastet wird.

Exportfördermaßnahmen können zudem einerseits die globale Preisspirale weiter nach unten ziehen. Zum anderen können sie in etablierten Märkten die entsprechenden Inlandsprodukte verdrängen und insbesondere in Entwicklungsländern die Bildung einer eigenständigen Produktion vereiteln, warnen Kritiker. Gleichwohl ist dieser pauschale Vorwurf zu relativieren. Denn wie die erwähnte Studie zeigt, sind Störungen durch subventionierte Importmengen auf lokalen Milchmärkten um so größer, je höher der Selbstversorgungsgrad eines Landes ist. Je niedriger dieser ist, um so mehr können Importe aufgrund ungünstiger natürlicher Gegebenheiten zur Versorgung der Bevölkerung beitragen.

Mit Exporterstattungen zu hantieren, ist ein Spiel mit dem Feuer. Wird aber der eigene übersättigte Markt entlastet und dadurch der Preis stabilisiert, ist das Primärziel erreicht. Schließlich ist jedem das Hemd näher als der Rock. Tatsächlich jedoch lassen die positiven Impulse auf sich warten: Exporte für Vollmilchpulver oder Butter sind nur marginal gestiegen, die für Magermilchpulver und Käse sind sogar beachtlich gesunken. Und von einem preisstabilisierenden Effekt kann bislang überhaupt keine Rede sein.

Selbst den Handelnden war schon vorher klar, daß Exporterstattungen angesichts eines nicht zuletzt durch die Milchquotenaufstockung übersättigten EU-Marktes, einer wegen der Wirtschaftskrise gesunkenen Weltmarktnachfrage und des scharfen Wettbewerbs mit exportstarken Ländern nur einem – milliardenschweren – Tropfen auf den heißen Stein gleichkommt.

Die Exporterstattung als Rettungsanker künstlich aufgebauschter Märkte liegt daher auf einer Linie mit der gleichfalls milliardenschweren Abwrackprämie zur Rettung eines überreizten Automarktes. All dies hat politische „Qualitäten“ in bisher unbekannter Dimension. Tatsächlich haben die Maßnahmen nur Alibifunktionen – und es wird der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.

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