© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/09 18. September 2009

Die brisante Milliarden-Frage
Niederlande: Die rechtsliberale Oppositionspartei PVV von Geert Wilders hat eine Debatte um Einwanderungskosten entfacht
Mina Buts

Die Niederlande galten einmal als besonders tolerant und als Vorreiter für eine vorbildliche Einwanderungspolitik. Hunderttausende verließen ihre meist armen Heimatländer, um dort ihr Glück zu versuchen. Ein Großteil der Einwanderer stammte aus außereuropäischen Kulturen. Selbst in der dritten Generation und mit niederländischem Paß versehen hielten die meisten von ihnen weitgehend an ihren mitgebrachten Wertvorstellungen fest was die vielbeschworene Toleranz der Niederländer zunehmend auf die Probe stellt.

Immer mehr autochthone Niederländer äußern ihren Unmut darüber offen oder „heimlich“ an der Wahlurne. Laut einer vom Wochenmagazin Elsevier veröffentlichten Umfrage erklärte jeder zweite Türke und Marokkaner, daß er inzwischen nicht mehr gerne in den Niederlanden lebe und Angst vor Übergriffen habe. Mehr als jeder dritte überlege, dem Land den Rücken zu kehren. Hauptgrund für diese Stimmung, so jedenfalls die Befragten, sei das Erstarken der rechtsliberalen Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders (JF 9/09). Die 2006 gegründete Partei erhielt bei der Europawahl 17 Prozent der Stimmen und wurde so nach den Christdemokraten (CDA) von Premier Jan Peter Balkenende die zweitstärkste Kraft. Wilders, bis 2004 Abgeordneter der liberalen Volkspartei (VVD), ist nicht nur der Gründer und Vorsitzende – weitere Mitglieder im herkömmlichen Sinne hat diese Partei nicht. Wilders erklärt das damit, daß man aus den Erfahrungen der aufgelösten Liste von Pim Fortuyn

(LPF) gelernt habe. Man wolle verhindern, daß die PVV (wie die LPF nach der Ermordung Fortuyns) von den falschen Leuten übernommen werde. Alle Mandatsträger werden von Wilders ausgewählt, jedem steht es aber offen, sich auf der Internetseite www.pvv.nl als Freiwilliger, Spender oder Wahlkandidat zu melden. Den Einwand, daß dieses Vorgehen undemokratisch sei, läßt Wilders nicht gelten: Parteiendemokratie sei ohnehin nur Scheindemokratie, wichtige Entscheidungen würden ohnehin von den „Bonzen“ getroffen.

Das PVV-Programm ist ein Reigen der gesellschaftspolitischen Themen. Da findet sich die Forderung nach einer intensiveren Nutzung der Kernenergie genauso wie die nach einer Aufhebung des auf den niederländischen Autobahnen geltenden Tempolimits von 120 km/h.Die beiden Hauptthemen sind aber ein neuer Kurs in der Europa- und in der Migrationspolitik. Die Partei fordert einen sofortigen Einwanderungsstopp für Muslime, ein Kopftuch- und Burkaverbot, das Verbot weiterer Moschee- und Koranschulenbauten im Land und eine Erschwerung der Einbürgerung.Ein wenig verwundert es schon, daß diese Forderungen auf so fruchtbaren Boden fallen. Denn hier wird seit Jahren ein härterer Kurs in der Einwanderungspolitik verfolgt. Schon jetzt kann die Einwanderung nur vom Heimatland aus betrieben werden. Niederländische Sprach- und Landeskenntnisse werden dabei ebenso vorausgesetzt wie ein Bekenntnis zum niederländischen Staat. Der Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb mahnte schon in seiner Funktion als Staatssekretär für Soziales an, daß die Armut in den Niederlanden keine immer „dunklere Hautfarbe“ bekommen dürfe. Jeder in den Niederlanden habe eine Chance, aber er müsse sie auch nutzen. Um nachzuhelfen, setzte der aus Marokko stammende Sozialdemokrat(PvdA) drastische Maßnahmen zur Verbesserung der Integration durch, die bis hin zur häuslichen Überwachung von Sozialhilfebeziehern reichten. „Geen immigratie, maar remigratie“ (Keine Einwanderung, sondern Rückwanderung), wirbt der PVV-Abgeordnete Sietse Fritsma auf der parteieigenen Internetseite. Schon im Juli hatte der frühere Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde (IND) einen Katalog von 79 Fragen zusammengestellt, um eine gesamtniederländische Kosten-Nutzen- Rechnung für die Integration der nichteuropäischen Migranten in den letzten vierzig Jahren zu erstellen. Er selber hatte überschlagen, daß diese bislang etwa 100 Milliarden Euro verschlungen habe.Der niederländische Integrationsminister Eberhard van der Laan (PvdA) versprach umfassend Auskunft zu geben, auch um diese horrende Summe relativieren zu können. Überraschend kam dann aber in der vergangenen Woche die Erklärung, es gebe „keine Buchhaltung über die gesellschaftlichen Gruppen“ und aus „politischen Gründen“ werde er der Sache auch nicht weiter nachgehen. Damit allerdings lieferte er selbst eine Steilvorlage, denn nach niederländischem Recht darf kein Minister dem Parlament eine Auskunft verweigern. Er wurde vom Parlament einbestellt und erklärte, alle relevanten Antworten bereits gegeben zu haben. Die PVV stand daraufhin alleine da, denn nun fiel auch den anderen Parteien auf, daß die Beantwortung der Frage tatsächlich nicht unbedingt politisch nützlich sein werde.

Das Magazin Elsevier, in dem Ortuyn bis 2001 eine stark beachtete wöchentliche Kolumne schrieb, berichtet dennoch kontinuierlich über die Kostendebatte. Bereits im Juli hatte ein Redakteur die ihm zur Verfügung stehenden Zahlen zusammengerechnet. Die Migration, so schlußfolgerte er, werde allein in diesem Jahr nahezu 13 Milliarden Euro verschlingen, insgesamt habe sie bisher wohl mehr als 200 Milliarden gekostet. Auch diese Zahlen werden vorerst unwidersprochen bleiben.

Foto: Muslimische Frauen an Bushaltestelle in Den Haag: Die Regierung führt „Keine Buchhaltung über die gesellschaftlichen Gruppen“

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