© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/09 11. September 2009

Schlummernde Schätze
Von Ruinen und Restaurierungen: Eine Reise durch die niederschlesische Schlösserwelt
Paul Leonhard

Mit der Öffnung Polens nach Westeuropa erwachen auch zahlreiche kleine Schlösser und Herrenhäuser zu neuem Leben. Lange Zeit galten in Schlesien nur die Piasten-Burgen wie Kynast (Chojnik) und Bolzendorf (Bolczów) als erhaltenswert. Die Gebäude aus preußischer Zeit waren dagegen in der Denkmal-Kategorie vier eingestuft, was bedeutete, daß in sie nicht investiert wurde. Soweit die Gebäude nicht Behörden Unterkunft boten, waren sie meist als Eigentum von Produktionsgenossenschafen dem Verfall preisgegeben.

Das änderte sich erst langsam, als Anfang der 1980er Jahre der Solidarność-Kämpfer und Architekt Jacek Jakubiec eine Bürgerinitiative zur Rettung des Schlosses Schwarzbach (Czarne) bei Hirschberg (Jelenia Góra) gründete. Daraus wurde das nachhaltigste Wiederaufbauprojekt Schlesiens, für das sich auch der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Gottfried Kiesow (78), nachdrücklich engagiert. Inzwischen ist insbesondere das Hirschberger Tal mit seinen mehr als dreißig Burgen, Schlössern und Herrensitzen auf dem Weg, eine bedeutende touristische Region zu werden.

Nirgendwo sonst in Europa gibt es so viele Paläste, deren Parks ineinander übergehen. Zu den bekanntesten gehört Lomnitz (Łomnica). Hier hat die Familie von Küster Anfang der 1990er Jahre den einstigen Besitz zurückgekauft. Das sogenannte „alte Schloß“ und das daneben stehende Witwenschlößchen am Fuße des Riesengebirges wurden in jahrelanger Arbeit mühevoll saniert und gelten heute als Vorzeigeobjekte deutscher und polnischer Denkmalschützer.

Saniert wurde auch der auf der anderen Seite des Flüßchens Bober gelegene Schloßkomplex Schildau (Wojanów), einst ein Anwesen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. Schloß Erdmannsdorf (Mysłakowice) dient seit langem als Schule, in Buchwald (Bukowiec), dessen Landschaftspark einst nur mit dem Wörlitzer vergleichbar war, hat die Gemeindeverwaltung ihren Sitz.

Noch immer eine Ruine ist dagegen Schloß Boberstein (Bobrów). Dem neuen Besitzer fehlt einfach das für eine Instandsetzung nötige Geld. Andere Anwesen sind verschwunden: Kupferberg, Maiwaldau und Rohrlach.

Auch im unmittelbaren Grenzgebiet entlang der Görlitzer Neiße gibt es wertvolle Baudenkmale mit einer langen Geschichte zu entdecken. Görlitz bietet sich beispielsweise an, um jenseits der Grenze nach den Spuren des berühmtesten Sohns der Stadt, dem Schumacher und Mystiker Jakob Böhme (1575–1624) zu suchen. Zehn Stationen umfaßt der ausgeschilderte, 25 Kilometer lange Rundweg, darunter neben dem einstigen Wohnhaus des Gelehrten in Zgorzelec (der polnischen Oststadt von Görlitz) auch die Herrenhäuser seiner einstigen Gönner Karl Ender von Sercha in Leopoldshain (Łagów) und Kaspar von Fürstenau in Lissa (Lasów).

„Böhme war sicher ein großer Mann“, sagt Robert Glass, aber viel spannender seien doch die Ritter und Fürsten, die im Gut Leopoldshain ein- und ausgegangen seien. Der 81jährige erzählt von Markgraf Johann Georg von Hohenzollern, Albrecht von Wallenstein und dem späteren sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. Glass war einer der ersten, der in die im Grenzgebiet schlummernden Schätze investierte. Bereits 1989 erwarb der aus Łękawa in Zentralpolen stammende Mann das 1782 errichtete, völlig heruntergewirtschaftete Schloß samt 66 Hektar Wald und Teichen von einer Produktionsgenossenschaft. „Ich habe dann ausgemistet“, sagt Glass und erzählt, wie er unter zwanzig Zentimeter hohem Unrat nicht wie gedacht auf Beton, sondern auf prächtigstes Parkett stieß. Heute dienten der Renaissancebau und die Wirtschaftsgebäude als Hotel und Restaurant.

Ein Stück von Leopoldshain entfernt befindet sich, fast unmittelbar am Grenzfluß Neiße gelegen, das Schlößchen in Lissa (Lasów). Es wurde 1593 errichtet und in den folgenden Jahrhunderten mehrfach umgebaut. Von den wechselnden Eigentümern künden zahlreiche Wappen wie das am Eingangportal zu sehende der Familie von Nostitz. Der heutige Besitzer ist gegenwärtig dabei, das Schloß und die Wirtschaftsgebäude zu sanieren.

Wie eine kleine Kopie von Lissa sieht das spätbarocke Herrenhaus Niedergruna aus. Hier lebt die aus Lublin stammende Künstlerin Wanda Stokwisz mit ihrem Schweizer Ehemann Jürg Dück. Ähnlich wie Glass hatte die Polin lange nach einem geeigneten Grundstück gesucht. Es seien traurige Fahrten gewesen, erzählt sie: „Überall das Sterben von einst wunderschönen Herrenhäusern.“ Als ihr Dorfbewohner in Gruna (Gronów) aber dann den Weg durch das Gebüsch zum Schloß zeigten, „war es Liebe auf den ersten Blick“. Die Rettung des Schlosses war komplizierter als in Leopoldshain. Die Künstlerin hatte kaum Geld, mußte auf die tatkräftige Hilfe deutscher und polnischer Freunde setzen, damit der Dachstuhl gerettet, das Dach neu gedeckt und die Regenrinnen erneuert werden konnten. Sie bedankte sich mit Festen im einst barocken Garten. Letztlich ist die Einrichtung des Kunstschlosses Waju – ein aus den Vornamen der Besitzer zusammengesetztes Kunstwort – mit Ateliers und Gästezimmern das Ziel. Erste Pensionsgäste konnten in diesem Sommer begrüßt werden.

Auch das Künstlerehepaar Chris Milis und Bart Vanwalle schaut ab und an vorbei. Die beiden Belgier haben das Nachbarschloß Kieslingswalde (Sławnikowice) erworben. Der klassizistische Bau überdauerte als Schule. Von der Vergangenheit des mehrfach umgebauten Schlosses künden allein die Bruchstücke eines steinernen Epitaphs: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus hat hier gelebt. Der Universalgelehrte baute am Hof Augusts des Starken nicht nur Brenngläser von nie dagewesener Größe und Klarheit, sondern gilt als der eigentliche Erfinder des Meißner Porzellans. Im verwilderten Schloßpark kann man die Reste eines kleinen Laboratoriums entdecken.

Verschwunden sind die Paläste von Reibersdorf (Rybarzowice), Hermsdorf (Jerzmanki), Bellmannsdorf (Radzimów), Nieder Schönbrunn (Studniska Dolne) und viele andere. Das herausragende Schmuckstück der Grenzregion ist aber das ehemalige Fräuleinsstift Joa­chimstein in Radmeritz (Radomierzyce), das einst die sächsisch-preußische Grenze markierte. Die barocke Schloß- und Parkanlage gilt als eine der schönsten der Oberlausitz und wurde im frühen 18. Jahrhundert nach Entwürfen der Oberlandbaumeister Johann Friedrich Karcher und Matthäus Daniel Pöppelmann erbaut. Der lange Zeit vernachlässigte Komplex wurde ebenfalls privatisiert und wird seit einigen Jahren restauriert.

Fotos: Boberstein/Bobrów: Für eine Instandsetzung fehlt das Geld, Schloßkomplex Schildau/Wojanów: Einst ein Anwesen des preußischen Königs Friedrich WIlhelm III., Künstlerin Wanda Stokwisz vor ihrem spätbarocken Herrenhaus Niedergruna: „Liebe auf den ersten Blick“

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