© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/09 11. September 2009

Der Weg ist schwer, aber bedeutsam
Israel und die Nato: Bilden intensivierte Kontakte den Auftakt einer künftigen Nato-Mitgliedschaft?
Günther Deschner

Israel will erstmals aktiv an einer Nato-Operation teilnehmen und Mitte September eine Marineeinheit für die Mission „Active Endeavor“ entsenden, die den Schiffsverkehr im Mittelmeer überwachen und kontrollieren soll. Verteidigungsminister Ehud Barak wies darauf hin, daß sein Land zwar schon des öfteren Beobachter oder Geheimdienstvertreter für maritime Nato-Missionen auf See entsandt, bislang aber keine Truppen oder Schiffe für Nato-Einsätze bereitgestellt hat.

Mit der Entscheidung, dieser Nato-Operation nun auch Truppen zu unterstellen, erhält die Diskussion darüber neue Nahrung, ob sich der hochgerüstete Judenstaat, eine der stärksten Militärmächte der Welt, enger an das Bündnis binden will, als das bislang – etwa im Rahmen des vor fünfzehn Jahren gegründeten „Mittelmeerdialogs“, in dem auch arabische Staaten wie Ägypten, Marokko und Algerien vertreten sind – schon der Fall ist.

Israel diskutiert seit Jahren darüber, daß es seine Beziehungen zur Nato (und auch zur EU) intensivieren will, doch in der Frage einer möglichen Mitgliedschaft gehen die Meinungen auseinander. Es gibt das klare Ziel, den Dialog sowohl mit der Nato wie auch mit der EU zu intensivieren und die Beziehungen aufzuwerten.

Auch die Nato hatte auf ihrem Gipfel in Istanbul 2004 beschlossen, die Beziehungen mit den Staaten des Mittelmeerdialogs zu vertiefen und ihn sogar über das Mittelmeer hinaus in die Golfregion zu erweitern. Der israelische Botschafter Schimon Stein plädierte damals für eine „variable Geometrie“, bei der die Nato nicht unbedingt allen Ländern das gleiche „Menü“ anbietet. „Israel hat nach meiner Auffassung sicher mehr anzubieten als etwa andere Staaten.“ Diskutiert wird seither, ob feste Allianzen mehr Vor- oder Nachteile für Israel hätten.

Die meisten Israelis waren lange der Meinung, das Land könne sich selbst schützen. Die Frage eines zusätzlichen Schutzes durch die Vollmitgliedschaft in der Nato schien vielen nicht relevant. Auch von seiten der Nato gibt es ein gravierendes Hindernis: Israel kann nicht in das Bündnis aufgenommen werden und den Schutz der kollektiven Verteidigungspflicht in Anspruch nehmen, solange es sich formell mit Nachbarländern im Kriegszustand befindet.

Kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt präzisierte der ehemalige Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer noch, Voraussetzung für eine Mitgliedschaft Israels sei auch, daß vorher ein Friedensabkommen mit den Palästinensern zustande gekommen sei und daß gemeinsam mit Israel auch ein arabischer Staat aufgenommen werde.

Was die Israelis an der Nato am meisten interessiert, ist die Frage, welche Rolle das Bündnis für die Sicherheit des Landes und bei der Lösung des Nahostkonflikts spielen kann. Generell gilt, daß die außen- und sicherheitspolitisch relevanten Kräfte keine besondere Vorliebe für internationale Organisationen haben. Israels Beziehungen zu den Vereinten Nationen sind dafür symptomatisch.

Rückblickend betrachtet, hätten die Beziehungen Israels zur Nato schon immer besser sein können. Denn kein Mitglied des Bündnisses hatte grundsätzliche Einwände gegen die Existenz eines jüdischen Staates.

Während der 1950er und 1960er Jahre fühlten sich viele Israelis aufgrund der sie umgebenden, feindselig eingestellten arabischen Welt in tödlicher Gefahr. Die meisten hätten es begrüßt, wenn ihr Land der Nato beigetreten oder wenigstens assoziiertes Mitglied geworden wäre. Doch damals war es gerade die Führungsmacht der Nato, die nicht nur jeden Gedanken an eine Aufnahme Israels ablehnte, sondern sogar eine relativ israelkritische Linie vertrat. Washington befürchtete, eine offene Unterstützung Israels werde die arabischen Staaten in die Arme Moskaus treiben.

Immerhin gelang es Tel Aviv, gute Beziehungen zu einzelnen Nato-Mitgliedern aufzubauen, vor allem zu Frankreich und ab 1965 zur Bundesrepublik. Was die Nato als Ganzes anging, lag Israel geographisch zu weit entfernt von jenem Teil der Welt „nördlich des Wendekreises des Krebses“, zu dessen Verteidigung sie gegründet worden war. Israel spielte keine große Rolle – und umgekehrt war aus der Sicht Israels auch die Nato keine unverzichtbare Größe.

Bis vor wenigen Jahren durften israelische Soldaten nur an den militärischen Übungen einzelner Nato-Mitglieder (Türkei, USA), aber nicht an Übungen des Bündnisses insgesamt teilnehmen. „Israel“, so der Kommentar des israelischen Militärwissenschaftlers Martin van Creveld, „zahlte es der Nato mit gleicher Münze heim und begegnete dem Bündnis häufig mit einer Mischung aus Indignation und Verachtung.“ Die Beziehungen zwischen Israel und der Nato waren also im Gegensatz zu denen zwischen Israel und einzelnen wichtigen Nato-Mitgliedern lange von einer Mischung aus Desinteresse, Geringschätzung und Mißtrauen gekennzeichnet.

Dennoch hat Israel am Mittelmeerdialog der Nato teilgenommen, seit dieser 1994 eingeleitet wurde. Es hat 2001 sogar als erster Teilnehmerstaat ein Sicherheitsabkommen mit der Nato unterzeichnet, das den Rahmen für den Austausch geheimer Informationen bietet. Darüber hinaus war seit dem Istanbuler Nato-Gipfel 2004 eine Intensivierung der Kontakte festzustellen.

Israel beteiligte sich im Dezember 2004 an der ersten Tagung des Mittelmeerdialogs und der Nato, die auf Außenministerebene abgehalten wurde. 2005 stattete Nato-Generalsekretär de Hoop Scheffer Israel einen Besuch ab, danach fand in israelischen Gewässern die erste gemeinsame Marineübung Israels und der Nato statt und Israel wurde in die Parlamentarische Versammlung der Nato aufgenommen. Die Vorzeichen für das künftige Verhältnis zwischen der Nato und Israel standen auf Grün.

Schon im Vorfeld der Wahl Benjamin Netanjahus zum israelischen Ministerpräsidenten hatte dessen enger Weggefährte und Strategieberater Uzi Arad, der Leiter des Instituts für Politik und Strategie am Interdisziplinären Herzlia-Zentrum, in einem vielbeachteten Beitrag geschrieben: „Indem Amerika und Europa ihre strategischen Positionen gegenüber dem Nahen Osten neu definieren, erscheint es um so wichtiger, daß die transatlantische Gemeinschaft auch ihre Beziehung zu Israel überdenkt. Der von der Nato gemachte Vorschlag zur Weiterentwicklung der Beziehungen mit Israel ist ein bedeutendes Signal.“ Für die Zukunft müßte auch „die Option einer Vollmitgliedschaft Israels in der Nato offengehalten werden“.

Ende Juli hat der eher linksliberal orientierte israelische Politiker Amnon Rubinstein – früher Erziehungsminister, heute Professor für Rechtswissenschaft am Interdisziplinären Herzlia-Zentrum und Kolumnist – die Diskussion noch eine Runde weitergedreht, als er den Israelis in der einflußreichen  Tageszeitung Jerusalem Post mit Nachdruck empfahl, die Mitgliedschaft in Nato und EU nunmehr mit Dringlichkeit voranzutreiben.

Der Beitrag erregte großes Aufsehen und löste kontroverse Debatten aus. Die israelische Wirtschaftszeitung Globes druckte ihn nach, und der „Medienspiegel“ der Deutschen Botschaft in Tel Aviv verbreitete ihn auf deutsch.

„Der Weg Israels zu einer Mitgliedschaft in der Nato ist weit und schwer“, schrieb der Professor, „doch von höchster Bedeutung. Denn über Israel schwebt atomare Gefahr.“ Ähnlich wie Israels Präsident Schimon Peres warnte er vor den Folgen eines Scheiterns der Nahost-Friedensverhandlungen mit dem Argument, Atomwaffen würden dann „die strategische Landkarte im Nahen Osten verändern“.

Die Antwort auf diese Gefahr sei die Eingliederung Israels in den Westen durch die Aufnahme in die Nato und die Europäische Union. Damit könne nicht nur „der verbreitete arabisch-muslimische Wunsch“ gedämpft werden, Israel „von der Landkarte zu streichen“ – ein Wunsch, der wahrscheinlich schon bald von nuklearen Waffen verstärkt werde. Da man annehmen müsse, daß Israel der Nato nicht beitreten könne, ohne daß auch ein arabischer Staat aufgenommen werde, sei zu erwarten, daß eine solche gemeinsame Mitgliedschaft die regionalen Spannungen reduziere. „Eine Nato-Mitgliedschaft wird den Tag näherbringen, an dem Israel in der einen oder anderen Form auch Mitglied der EU sein wird, und sie wird auch die Beziehungen zu den USA verbessern.“

Rubinstein betont, daß eine Mitgliedschaft in der Nato für Israel auch womöglich als Zumutung betrachtete Pflichten mit sich brächte: „Israel müßte z. B. als wichtig erachtete Militäraktionen mit den anderen Mitgliedern absprechen, und es müßte die Charta gegen die Verbreitung von Atomwaffen unterzeichnen. Es könnte jedoch durchaus sein, daß die Einbindung in die Bündnisdisziplin Israel helfen würde, taktische Fehler zu vermeiden.“ Der Professor weist ausdrücklich auf die bevorstehende Entsendung einer israelischen Marineeinheit zur Teilnahme an der „Operation Active Endeavor“ hin, die er deswegen hoch bewertet, weil sie „der für Israel so wichtigen kollektiven Verteidigungspflicht gemäß Paragraph  5 des Bündnisvertrags Ausdruck gibt“.

„Wer die Zukunft Israels nüchtern betrachtet, der versteht, daß eine Mitgliedschaft Israels in der Nato für Israel von existentieller Bedeutung ist“, warnt Ammon Rubinstein. Zwei Gefahren bedrohten Israel – eine äußere und eine innere: Zum einen sei Israel eine Insel im Meer bewaffneten Hasses, zum anderen bedrohe es sich selbst mit seinem „Groß-Israel-Konzept“, das „sowohl auf die israelische Demokratie als auch auf den jüdischen Charakter des Landes destruktiven Einfluß“ nehme. Der lange Weg in die Nato hänge daher zuallererst vom Verzicht auf diese Vision eines „Groß-Israel“ ab, von dem „aufrichtigen Versuch, ein Abkommen mit den Palästinensern zu erzielen“ und von „einer Verbesserung des Ansehens Israel in der Welt“, heißt es in dem Zeitungsartikel.

Die begonnene Diskussion wird die Israelis noch lange beschäftigen und auch Netanjahus brüchige Koalition, der rechtsextreme und messianische Groß-Israel-Splitterparteien angehören, unter Druck setzen.

 

Stichwort: „Operation Active Endeavor“

Der Nato-Rat hat die Anti-Terror-Operation „Active Endeavor“ („Aktive Anstrengung“) nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ins Leben gerufen, „um fortlaufend Patrouillen auf dem Mittelmeer durchzuführen, eine sichtbare Präsenz zu zeigen und Reaktionskräfte bereitzustellen, die bei Bedarf rasch eingreifen“, heißt es auf der Internetseite des Bündnisses. Seit 2002 nimmt auch die Deutsche Marine an dieser Mission teil. So befindet sich derzeit ein Einsatzkontingent vom Marinefliegergeschwader 3 „Graf Zeppelin“ (Nordholz) in Dschibuti am Horn von Afrika.

Fotos: Ehrenformation der israelischen Seestreitkräfte: Die amerikanisch-israelische Zusammenarbeit funktioniert seit Jahren ohne Probleme, Israelischer Merkava-Kampfpanzer: Demnächst bei Nato-Übung?

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