© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

361° Toleranz
Einseitige Blicke
Christian Dorn

Es ist Wahlkampf, und da steht gesellschaftliches Engagement ganz hoch im Kurs. Das dachte sich wohl auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, als sie Außenminister Frank-Walter Steinmeiers Prestigeobjekt „Nazis aus dem Takt bringen“ bemerkte. Kampf für Toleranz – da mußte auch die Kanzlerin etwas tun. Die Musik war schon belegt, also kam nur noch das Internet in Frage. Toll, daß da das Videoportal YouTube in Zusammenarbeit mit einschlägigen Initiativen wie „Laut gegen Nazis“ oder der Amadeu-Antonio-Stiftung via „361° Toleranz“ (www.youtube.com/user/361gradtoleranz)  gegen „Ausgrenzung“ mobil macht.

„Wunderbare Aktion“, erklärt die Schirmherrin Merkel und offenbart in der YouTube-Botschaft ihre problemkiezferne, eindimensionale Sicht aus dem Kanzleramt: „Trägt in der Klasse jemand Kopftuch oder Kippa und wird deshalb anders behandelt?“ Schlimm, dachte sich da ein Schelm, kreierte eine Video-Antwort (youtube.com: „361° Toleranz – Antwort auf den Aufruf der Bundeskanzlerin“) auf Merkels Aufruf, und plötzlich erscheinen die hehren Merkel-Worte von deutscher Intoleranz wie weltfremde Worthülsen, die mit der Wirklichkeit 2009 wenig zu tun haben: „Deutsche sind nix für uns. Wir behandeln sie wie Dreck“/ „Warum soll ich Respekt vor deutschen Frauen haben?“  

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