© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

Autoritär in die Moderne
Der Innsbrucker Politikwissenschaftler Gerhard Mangott über die Entwicklung Rußlands vom sowjetischen Konkursverwalter in die Putinkratur
Werner Lehfeldt

Das Buch des Politologen Gerhard Mangott will „die großen Linien der Entwicklung Rußlands seit 1991 nachzeichnen“ und zeigen, daß „Rußland seit 1999 auf einem Pfad der, wenn auch bisweilen langsamen, Erholung“ sei. Dieses Ziel erklärt den Titel, wenngleich der Autor zum Schluß einräumt, daß der Flügelschlag des rußländischen Phönix unstet sei.

Im ersten Kapitel beschreibt Mangott die Ära Jelzin sowie die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der damals eingeleiteten Reformen. Es werden die Faktoren aufgezeigt, die dazu führten, daß Jelzin seine in der Verfassung verankerte starke Stellung nicht auszuschöpfen vermochte: die bedeutende Rolle des Parlaments und der Regionen, die pluralistische Medienlandschaft und die persönlichen Unzulänglichkeiten des Präsidenten. Im zweiten Kapitel analysiert der Autor die Probleme Rußlands in den neunziger Jahren, nämlich die Raubprivatisierung und die Verfilzung von Wirtschaft und Politik, den Verfall der Streitkräfte und „Tschetschenien: die Tragödie einer verlorenen Generation“. Den breitesten Raum nimmt die Beschreibung der Putin-Ära ein. In dieser Zeit sei „eine autoritäre ökonomische Modernisierung zum Leitgedanken politischen Handelns erhoben“ worden. Zwischen 1999 und 2008 stieg das Bruttoinlandsprodukt stetig an, bedingt durch die Währungsabwertung, die Importe verteuerte und so die einheimische Industrieproduktion begünstigte, sowie durch den Anstieg der Rohölpreise. Die sozialen Auswirkungen dieses Wachstums waren einerseits eine deutliche Steigerung der Reallöhne bei gleichzeitig niedrigem Niveau der Pensionen, andererseits das Anwachsen der sozialen Ungleichheit. Zu den makroökonomischen Erfolgen der Ära Putin ist auch der markante Zuwachs der Hartwährungs- und der Goldreserven der Zentralbank zu rechnen, die allerdings seit September 2008 deutlich zurückgegangen sind.

Die hohen Zustimmungswerte für die Amtsführung Putins – 86 Prozent im Mai 2008 – sind nach Ansicht des Autors auch darauf zurückzuführen, daß die Staatsführung die elektronischen Medien direkt oder indirekt kontrolliere und die Berichterstattung über die Tätigkeit des Präsidenten erheblich steuere. Dessen übergeordnete Herrschaftslogik sei „eine stabilitätsorientierte, auf Kontrolle bedachte, durch autoritäre Machtausübung gelenkte Modernisierung Rußlands“. Der Durchsetzung dieser Herrschaftslogik diente einerseits die Berufung von Angehörigen des Sicherheitsapparats in führende politische und ökonomische Funktionen, andererseits Putins Abstützung auf liberale Ökonomen und Juristen.

Ferner vermochte es Putin, diejenigen Faktoren weitgehend auszuschalten, die die Autorität Jelzins beschnitten hatten. Zunächst entmachtete er die Regionen und rezentralisierte die Verwaltung. Sodann machte er sich daran, das Parteiensystem zu zerschlagen, das sich seit 1993 herausgebildet hatte, und dabei insbesondere die liberalen Fraktionen aus der Duma zu verdrängen – ein Ziel, das durch die Gründung einer staatlich organisierten und materiell unterstützten Regimepartei und andere Manipulationen weitgehend erreicht wurde.

Schließlich gelang es Putin auch, den Medienpluralismus über die Durchsetzung neuer Eigentümerstrukturen bei den wichtigsten Medien sowie durch massive Einschüchterung von Journalisten stark einzuschränken und den Einfluß der Wirtschaftsmagnaten auf staatliche Entscheidungsprozesse und das politische Leben zurückzudrängen. Nach Auffassung des Autors wird Putins autoritäre Herrschaftsausübung vom größten Teil der Bevölkerung durchaus akzeptiert, weil es Putin gelungen sei, eine Antithese zur Lebens- und Herrschaftswirklichkeit unter Boris Jelzin aufzubauen, gegen eine Wirklichkeit, die gekennzeichnet war durch wirtschaftlichen Zusammenbruch, soziale Verelendung, eine demographische Katastrophe und politische Instabilität.

Putins Amtsnachfolger Dmitri Medwedjew sieht Mangott als moderaten und liberalen Reformer, dem zu glauben sei, wenn er ankündigt, die Rechtssicherheit stärken und soziale, bildungs- und gesundheitspolitische Veränderungen einleiten zu wollen. Freilich sei es Medwedjew bisher noch nicht gelungen, auch nur einen radikalen neuen Akzent zu setzen. Der Autor warnt aber davor, ihn vorschnell als eine Figur abzutun, deren Rolle darin bestehe, Putin rechtskonform wieder in das Amt des Staatspräsidenten gelangen zu lassen. Auch die mögliche Strategie einer Machtverlagerung vom Staats- zum Ministerpräsidenten beurteilt der Innsbrucker Wissenschaftler kritisch, da sie ein erhebliches Risiko für Putin berge. Schließlich werde sich die soziale Unzufriedenheit der Bürger in einem solchen Fall besonders stark gegen die Regierung und nicht gegen den Präsidenten richten.

Im letzten Kapitel analysiert der Autor den Öl- und Gassektor Rußlands, der die Grundlage von Rußlands wirtschaftlich abgestütztem Geltungsanspruch bilde, die möglichen Reaktionen auf das Vorhaben der USA, im östlichen Europa Raketenabwehreinrichtungen zu installieren, sowie schließlich die Frage nach den möglichen Auswirkungen des im August 2008 gegen Georgien geführten Krieges auf die Beziehungen Rußlands zur EU und zu den USA. Das vollkommen ohne Quellenbelege auskommende Buch bietet dem „schnellen“ Leser immerhin einen informativen Überblick über die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Rußlands in den letzten zwei Jahrzehnten.

 

Prof. Dr. Werner Lehfeldt lehrt Slawistische Sprachwissenschaft an der Universität Göttingen und ist Vizepräsident der Göttinger Akademie der Wissenschaften.

Gerhard Mangott: Der russische Phönix. Das Erbe aus der Asche. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2009, gebunden, 224 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

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