© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

Frisch gepresst

Europäische Identität. Geradezu manisch sucht Jürgen Habermas seit Jahren nach den Voraussetzungen „europäischer Identität“. Wie geschickt er sich damit wieder einmal an die Rockschöße des Zeitgeists heftet, zeigt die unüberschaubare Flut einschlägig betitelter Aufsatzbände. Dazu gesellt sich jetzt die Sammlung, die Christoph Kühberger (an der Universität Hildesheim zuständig für „Didaktik der historisch-politischen Bildung“, was früher „politische Pädagogik“ hieß) und der „Sozialethiker“ Clemens Sedmak (Salzburg) unter dem Titel „Europäische Geschichtskultur – Europäische Geschichtspolitik“ und dem wahrhaft barocken Untertitel „Vom Erfinden, Entdecken, Erarbeiten der Bedeutung von Erinnerung und Geschichte für das Verständnis und Selbstverständnis Europas“ vorlegen (StudienVerlag, Innsbruck 2009, gebunden, 300 Seiten, 34,90 Euro). Um Sedmaks Idiom Tribut zu zollen: Ein bisserl fad ist die Lektüre denn schon. Kein Wunder, denn die Thematik ist nun einmal so inspirierend wie die Wahlen zum EU-Parlament. Immerhin erfährt man aus dem Beitrag des Berliner Zeithistorikers Christian Weiß, wie überaus geschmeidig unser wissenschaftlicher Nachwuchs sich im Umgang mit „heißen Eisen“ erweist. Weiß präsentiert die historischen Pro- und Contra-Argumente in der deutschen Diskussion zum EU-Beitritt der Türkei und gelangt zu wahrhaft diplomatischen Antworten. Im übrigen geht es natürlich wieder um viel schwerhufige Diskursanalyse zur altgewohnten „Identitätskonstruktion“.

Inspektor Bräsigs Gefilde. In dritter, „völlig überarbeiteter Neuauflage“ kann der Allgemeinmediziner und Kulturhistoriker Dieter Pocher seine „Schlösser und Herrenhäuser in Mecklenburg-Vorpommern“ dem touristisch unternehmungslustigen Publikum präsentieren (Ein Kulturreiseführer, L+H Verlag, Hamburg 2008, gebunden, 293 Seiten, Abbildungen, 16,80 Euro). Der Titel des handlichen, mit vielen praktischen Hinweisen, Kontakt- und Netzadressen versehenen Bandes stapelt gehörig tief. Denn Pocher steuert keinesweg nur die in erfreulich großer Zahl wieder renovierten baulichen Hinterlassenschaften jener gutsherrlich geprägten Agrarlandschaften an, die dank Fritz Reuters Onkel-Bräsig-Geschichten noch nicht vollständig aus der Erinnerung verschwunden sind. Für Pocher sind die „Schlösser und Herrenhäuser“ zwischen Zarrentin und Spyker nur Anlaufpunkte, um seinen Lesern die Er-fahrung des vielfach eben doch gelungenen „Aufbau Ost“ ans Herz zu legen. Darum findet die Architektur historischer Stadtkerne bei ihm genauso Berücksichtigung wie das bauliche Ensemble des ersten deutschen Seebads Heiligendamm oder die Festung Dömitz an der Elbe, die letzte Station von Fritz Reuters „Festungstid“.

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