© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Streitkultur
Karl Heinzen

In den 58.000 britischen Pubs werden Woche für Woche 126 Millionen „Pints“ Bier ausgeschenkt, die auf der Insel übliche Maßeinheit entspricht etwa 0,57 Liter. Getrunken werden sie in der Regel aus landestypischen Gläsern, die nicht nur gut in der Hand liegen, sondern sich bei spontan entstehenden Anlässen auch als Waffe einsetzen lassen. Durch diese Zweckentfremdung sollen jährlich 5.500 Personen schwere Schnittwunden davontragen. Die dem Gesundheitswesen daraus erwachsenden Kosten sind beträchtlich. Es wird geschätzt, daß alleine in den Krankenhäusern pro Jahr ein dreistelliger Millionenbetrag für die Behandlung von Verletzungen aufgewendet wird, die den Opfern durch Pint-Gläser zugefügt wurden.

Angesichts dieser Zahlen denkt die Regierung in London nun darüber nach, ob sich hier nicht Einsparungen erzielen lassen. So schlägt Alan Campbell, Staatssekretär im Innenministerium, vor, die Pints nur noch in Plastik- oder Pappbechern auszuschenken. Diese Anregung ist politisch klug, da sie nicht der Utopie verfällt, eine tradierte Trink- und Streitkultur ließe sich mit einem Federstrich korrigieren. Zudem berücksichtigt sie, daß den Bürgern nach der Kampagne gegen den Tabak nicht sogleich eine weitere gegen den Alkohol zugemutet werden kann.

Gleichwohl ist der Vorstoß des Staatssekretärs kurzsichtig, da er außer acht läßt, daß staatliche Versuche, das Verhalten von Konsumenten zu beeinflussen, diese üblicherweise in eine Richtung ausweichen läßt, die zuvor nicht bedacht wurde. Davon ist auch in diesem Fall auszugehen. Wer genug getrunken hat und es aus welchen Gründen auch immer für notwendig erachtet, eine Auseinandersetzung gewaltsam auszutragen, mag dafür dann zwar nicht mehr sein liebgewonnenes Pint-Glas nutzen können. In jedem Pub oder auch unter den Utensilien, die der Gast selbst bei sich trägt, dürften aber genug Alternativen zur Verfügung stehen. Konsequent wäre es daher, alle beweglichen Objekte aus den Pubs zu entfernen. Zudem sollten die Gäste am Eingang mit Handschellen gefesselt werden, da sie ja auch ihre Fäuste als Waffe gebrauchen könnten.

Überdies darf sich die Aufmerksamkeit des Staates nicht auf das Innenleben der Pubs beschränken. Gefährliche Gegenstände, die in die Hände von aggressiven Betrunkenen fallen könnten, sind generell aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Und nicht nur aus dieser: Die meisten Opfer sind auf häusliche Gewalt zurückzuführen. Die Ächtung all dessen, womit Menschen Menschen Verletzungen zufügen könnten, darf somit vor deren eigenen vier Wänden nicht haltmachen.

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