© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

Der Zermalmer
Politische Zeichenlehre LXXXI: Thors Hammer
Karlheinz Weissmann

Skandinavien gehörte auch in diesem Sommer zu den bevorzugten Reisezielen. Und wenn dem deutschen Touristen in Dänemark, Schweden oder Norwegen noch etwas auffällt außer Landschaft, Ruhe und der einen oder anderen Sehenswürdigkeit, dann das ungezwungene Verhältnis unserer nordischen Nachbarn zu ihrer nationalen Identität. Die äußert sich auch in der Selbstverständlichkeit, mit der man vor dem eigenen Haus die Landesflagge hißt, die Volkslieder singt oder ein Tattoo mit Wikingermotiv präsentiert. Das Tragen eines Hammeramuletts kann in diesen Zusammenhang gehören, muß es aber nicht.

Der Hammer „Mjölnir“ – wahrscheinlich: „der Zermalmer“ – war die Waffe des nordischen Gottes Thor, der unter anderem für Wetter und Fruchtbarkeit zuständig war. Der Hammerwurf des Gottes galt deshalb nicht nur als Ursprung des Gewitters, sondern auch als Grund für das Wachstum der Saat und die Vermehrung von Mensch und Vieh. Die erhaltenen Quellen sprechen dafür, daß es in Skandinavien üblich war, einen Hammer zum Ackersegen über die Erde zu schleudern, und daß die Isländer der Braut bei der Trauung einen Hammer in den Schoß legten.

Vor allem haben sich aber zahlreiche Hämmer in Miniaturform aus dem Mittelalter erhalten, die als Halsschmuck dienten und wahrscheinlich eine gewisse Rolle bei Begräbnisriten spielten; bezeichnenderweise fand man sie vor allem als Beigabe für Frauen. Sie tauchten am Ende des 9. Jahrhunderts auf, was dafür spricht, daß der Hammer Thors damals seine Bedeutung als Gegenzeichen zum christlichen Kreuz erhielt.
Aussehen und Funktion des Thors-hammers wurden von Archäologie und Vorgeschichtsforschung im 19. Jahrhundert rekonstruiert, was auch zur Folge hatte, daß die völkische Bewegung in Deutschland sich seiner als Symbol bediente. Hammer-Embleme kamen vor allem unter dem Einfluß der 1902 gegründeten antisemitischen Zeitschrift Der Hammer in Mode, in deren Umfeld sich ein „Reichshammerbund“ mit „Hammer‑“ und „Thor-Gemeinden“ bildete; der Herausgeber Theodor Fritsch schrieb teilweise auch unter dem Pseudonym „Fritz Thor“.

Es lag angesichts dessen nahe, daß die neuheidnischen, „deutschreligiösen“ Anhänger der Völkischen auch die Vorstellung entwickelten, daß man den Hammer wieder vollständig in seine älteren Rechte einsetzen sollte. Die 1912 gegründete Germanische Glaubensgemeinschaft (GGG) verwendete jedenfalls nicht nur den Hammer Thors als Abzeichen, ihr Gründer Ludwig Fahrenkrog hatte auch einen „Weihehammer“ nach eigenem Entwurf anfertigen lassen, der bei Prozessionen vorangetragen und zur Einsegnung von Kindern verwendet wurde.

Allerdings verwandte die GGG den Thorshammer schon nicht mehr isoliert, sondern in Kombination mit einem Hakenkreuz. Dieses zwar schon länger bekannte, aber im Hintergrund gebliebene Symbol begann dann vor dem Ersten Weltkrieg das ältere Zeichen zu verdrängen und allmählich ganz an dessen Stelle treten. Die Gründe dafür, warum der Hammer für die Völkischen seine Bedeutung fast vollständig verlor, hingen wahrscheinlich damit zusammen, daß er relativ leicht mit sozialistischen Emblemen verwechselt werden konnte und ihn sein statischer Charakter für propagandistische Zwecke nutzlos erscheinen ließ.

In der Weimarer Republik hielten nur noch die völkisch-religiösen Gruppen am Hammer Thors fest, und bezeichnenderweise wurde der GGG nach der nationalsozialistischen Machtübernahme die Verwendung des Hakenkreuzes verboten, während der Hammer unbeanstandet blieb. Die relative Unbekanntheit erlaubte es außerdem, ihn nach 1945 problemlos weiterzuverwenden. Jenseits der sehr begrenzten neuheidnischen Zirkel war seine Bedeutung vollständig vergessen.

Dabei blieb es bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Dann stießen kleine pagane Gruppen in Skandinavien, Frankreich, England und Nordamerika auf das alte Symbol. Deren organisatorische Verdichtung blieb aber gering, und ihre Anhänger trugen den Hammer – oft handelte es sich um Museumrepliken – vor allem als individuellen Schmuck. Womit die skandinavische „Mode“ sich hinreichend erklärt und ebenso deren Ambivalenz: als Ausdruck massenhafter Kirchenferne, wie sie in Skandinavien an der Tagesordnung ist und einer gewissen Gedankenlosigkeit in Glaubensfragen, die man irgendwie „heidnisch“ finden kann.

Zur symbolischen Bedeutung des Thorshammers ist in kleiner Auflage ein Buch im Privatdruck erschienen; zu beziehen über www.karlheinzweissmann.de.

Mjölnir (Hammer), gefunden auf Öland: Schmuck

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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