© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/09 28. August 2009

Tag der Rothaarigen: Treffen in einem holländischen Musterstädtchen
Die großen Verführerinnen
Ellen Kositza

Wer mich als Schülerin fragte, was ich gern werden würde, dem war neben vagen Zweifeln (Tierärztin?) eine Antwort sicher: rothaarig. Ich hab’s versucht. Mal kam Gelborange heraus (Henna), mit härteren Mitteln wurde es lila. Blond blieb am Ende blond. Mit verfeinerter Kosmetik ist Haarfarbe längst kein Schicksal mehr. Rot ist heute Favorit unter den Wahlhaarfarben – wenn man Aussagen der Färbe-Industrie trauen darf.

Bei Lichte besehen sind „Rot“schöpfe doch eher mit einer orangefarbenen Haarpracht gesegnet – eine Farbe, die nach Goethe energische, gesunde und, ja: rohe Menschen auszeichne. – Gut, nennen wir es rot, so hat es sich eingebürgert: Farbe der Liebe, der Erotik, Leidenschaft und des Zorns.

Werden die Rothaarigen in  90 Jahren ausgestorben sein?

Gemäß einem in Frankreich kursierenden Sprichwort sind rothaarige Frauen „entweder gewalttätig oder falsch und meistens beides“. In Wahrheit sind sie vor allem: schön. Ob karottenrot und in mondänem Kupferton, ob bei Mann, Weib oder Kind: Rote Haare bestechen, wer wollte das leugnen? Jene ein-, zweitausend Menschen, die sich am 5. und 6. September im niederländischen Breda erneut zum „Tag der Rothaarigen – Roodharigendag“ zusammenfinden, gewiß nicht. Im vergangenen Jahr kamen hier über tausend natürlich (!) Rothaarige aus 18 Ländern zusammen, um – nun, um gemeinsam rothaarig zu sein. Die für diesen Tag werbende Netzseite www.roodharigen.nl  verspricht nicht nur ein reiches Kulturprogramm mit einem eigens für Rothaarige komponierten Menü, sondern wirbt auch damit, daß 99 Prozent der Einwohner Bredas willens sind, auf deutsch oder englisch zu kommunizieren – ein holländisches Musterstädtchen also.

Gelegentlich geht die Rede, daß gingerism, sprich: das Hänseln von Rotschöpfen, eine Form der Diskriminierung sei. Stolze Rote schert das wenig. Das Gerücht, wonach Rothaarige (als biblische Vorbilder dienten Eva, Judas und Kain; auch Maria wurde bis zum Mittelalter rothaarig dargestellt) das Höllenfeuer in sich trügen, ist heute weitgehend ausgestorben, und als Hexe auf dem Scheiterhaufen konnte frau unabhängig von ihrer Haarfarbe enden. Allein im alten Ägypten und während der spanischen Inquisition bedeutete ein Feuerschopf gerade für Frauen tatsächlich Lebensgefahr. Anders hingegen im antiken Rom: Rothaarige Sklaven standen hoch im Kurs.

Es heißt, daß in exakt 90 Jahren Rothaarige ausgestorben sein werden – von Blonden geht eine ähnliche Rede, wohl ebenfalls seit Jahrzehnten. Wissenschaftlich erwiesen ist, daß Rotschöpfe weniger als die durchschnittliche Anzahl von 120.000 Haaren auf dem Kopf haben, dafür sind die Haare dicker. Ebenfalls akademisch verbrieft: Rothaarige sind schmerzunempfindlicher, benötigen aber bei Operationen eine höhere Dosis an Narkotika. Angeblich werden Rothaarige deutlich häufiger von Bienen gestochen. Von den Pikten, Kelten und Wikingern ist das Farbgen auf die Nachkommen vererbt worden. Die meisten Rotschöpfe leben heute in Schottland und auf Irland, dort machen sie 14 respektive 10 Prozent der Bevölkerung aus. Hierzulande sind knapp zwei Prozent der Bevölkerung natürlich rot.

Männlicher Hang zu  Brachialität und Nervensägerei

Psychologisch unterscheiden sich die Assoziationen zum flammenden Haar geschlechterspezifisch. Mit männlichen Rothaarigen wird eher Brachialität oder ein Hang zur Nervensägerei (Franz von Moor aus Schillers „Die Räuber“, Pumuckl – und ist das Sams nicht auch eher männlich?) verbunden. Sie gelten als weniger intelligent, will der an der Universität Saarbrücken tätige Haarpsychologe Ronald Henss herausgefunden haben. Unter 14.000 Befragten bevorzugten nur 0,5 Prozent der Frauen rothaarige Männer. Ob frau da speziell Boris Becker imaginiert hat? Rothaarige Frauen (von obiger französischer Redewendung abgesehen) gelten hingegen als stolz, auf positive Art eigensinnig und verführerisch. Man denke an Kurt Helds Rote Zora, an Ronja Räubertochter, Pippi Langstrumpf, Tykwers rennende Lola oder die betörenden Roten aus Patrick Süskinds „Das Parfum“.

„Lieber tot als rot“, lautete ein geflügeltes Wort in Zeiten des Kalten Kriegs – wohingegen rot und röter heute auf Wahlplakaten wieder zum politischen Farbbekenntnis geworden ist, mit dem man gern wirbt.  

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