© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/09 28. August 2009

Gott mit dem Urknall versöhnen
Der US-Wissenschaftler Tipler will Gott und die Dogmen physikalisch-mathematisch beweisen
Michael Manns

Seit Galilei galten Glaube und Naturwissenschaft als vermintes Gelände. Feindlich standen sie sich gegenüber, versuchten sich gegenseitig zu disziplinieren. Der katholische Theologe Hans Küng sprach einmal von einer „vergifteten Beziehung“. Nur langsam entspannt sich die Lage. Der US-Physiker Frank Tipler hat sich dieser Schnittstelle mit viel Engagement in seinem neuen Buch „Die Physik des Christentums“ genähert und eine provokante Lösung gesucht – im deutschsprachigen Raum leider ohne viel Echo. Die Resonanz von US-Kollegen war teilweise beleidigend. So schweigt man Querdenker tot. Traurig zu konstatieren: Political Correctness gibt es auch im Wissenschaftsjournalismus.

Tiplers Buch ist eine Fortschreibung seiner „Physik der Unsterblichkeit“ (1994 auf deutsch erschienen). Nun muß man wissen: Tipler ist kein wissenschaftlicher Scharlatan. Er hat mit Roger Penrose und Stephen Hawking zusammen gearbeitet und ist Professor an der Tulane University in New Orleans. Das Motiv in seinem neuen Buch: eine logisch und physikalisch zwingende Brücke zwischen Gott und den letzten Fragen der Kosmologie und Physik zu bauen. Dabei wagt er sich in der Tat atemberaubend weit vor: Er ist der festen Überzeugung, fast alle schwierigen Dogmen des Katholizismus zwingend zu beweisen: den dreieinigen Gott (Trinität), die Jungfrauengeburt, Erbsünde, die Verwandlung von Brot und Wein in das Fleisch und Blut Christi , die Auferstehung … In der Tat: ein nicht gerade anspruchsloses Unterfangen.

Zentraler Gedanke seiner Demonstrationen ist der Urknall: Würde man die Geschichte des Universums – quasi wie in einem Film – rückwärts laufen lassen, käme man nach rund 14 Milliarden Jahren bei jenem Big Bang oder Urknall-Singularität an: So die heute gängige Theorie in der Kosmologie. Bis etwa eine Millionstel vor der Sekunde Null funktioniert noch die Physik bei der Beschreibung dieser Vorgänge. Dann, wenn „man“ den Zeiger quasi auf Null drehen wollte, kann man sie nicht mehr anwenden. Auch die Mathematik versagt. „Zum Schluß“ gelangt man an einen Punkt jenseits von Raum, Zeit und Materie – die Anfangssingularität. Hier werden dann quasi Diesseits und Jenseits verschränkt, davon ist Tipler felsenfest überzeugt.

Diese Anfangssingularität setzt er mit dem philosophischen Gottesbegriff gleich – quasi als schöpferische prima causa. Doch nicht nur das. Er identifiziert sie mit einem persönlichen Gott, im nächsten Schritt dann mit dem Gott der Juden und Christen und sogar mit dem dreifaltigen Gott (Trinität): ein atemberaubender gedanklicher Weg, der dem Leser hier zugemutet wird. Originalton Tipler: „Gott ist die kosmologische Singularität, die sich in dreifacher Weise entfaltet. Als Singularität der Vollendeten Zukunft oder Omegapunkt, als Singularität aller Gegenwarten und als Singularität der vollendeten Vergangenheit – anders ausgedrückt als Vater, Sohn und Heiliger Geist.“

Da sind schon Zweifel angebracht. Das Modell der kosmischen Anfangssingularität ist nicht mehr als ein Modell und zudem nicht unumstritten. So hat in diesem Jahr der deutsche Physiker Martin Bojowald mit seinem Buch „Zurück vor den Urknall“ Furore gemacht. Bojowald umschifft die kosmische Singularität. Sie bedeutet für ihn keine Grenze der Welt, keinen Eingang zur Transzendenz, sondern in einem Kollaps dreht sich das Universum um und es beginnt eine neue Phase. Selbst eine unendliche Abfolge solcher Urknalle (und Re-Urknalle) sind nach ihm denkbar. Und dann sei die ketzerische Bemerkung erlaubt: Wie soll man die anderen „kleinen“ Singularitäten deuten, die im Zusammenhang der schwarzen Löcher auftauchen: Sind das Mini- oder Nebengottheiten? Kehrt so der antike Götterhimmel wieder?

Tipler ist nicht einfach zu lesen. Ein gutes Abitur-Vorwissen in Physik ist unabdingbar, und bei einigen Kapiteln reicht auch das nicht mehr. Zum Beispiel Transsubstantiation – die Verwandlung von Brot und Wein in das Fleisch Jesus (nach katholischer Lehre). „Äußerlich“ – also alles, was dem naturwissenschaftlichen Experiment zugänglich wäre – ändert sich nichts. Nur die zugrunde liegende „Substanz“ verwandelt sich, so lehrt das Dogma: ein schwieriges theologisch-philosophisches Thema, ohne Aristoteles und die scholastische Philosophie schwer nachzuvollziehen. Und diese komplexe Materie versucht Tipler dann noch in die Sprache der Quantentheorie zu übersetzen. Problematisch wird es dagegen bei solchen Nostradamus-ähnlichen Prognosen wie: „Die Geschichte der Menschheit wird in fünfzig Jahren zu Ende gehen.“ Und bizarr bei seinen Konstruktionen, daß wir alle eines Tages auferstehen und ewig leben (dank Baryonenvernichtung), oder die biologisch mögliche Jungfrauengeburt („ein XX-Mann“).

Eine Anmerkung zum Buchtitel: „Die Physik des Christentums“ suggeriert, daß es eine christliche Physik geben könnte. Gerade die Erfahrungen der letzten achtzig Jahre ermahnen uns zu äußerster Vorsicht und Sensibilität, wenn es darum geht, der Naturwissenschaft per Adjektiv eine ideologische Richtung vorzugeben. Es gab das ja alles einmal: arische Wissenschaften, angebliche jüdische Physik, kommunistische Biologie (Lyssenko-Skandal), marxistische Physik in der DDR (Havemann) oder die „bürgerlichen“ Wissenschaften, die einst im Visier der 68er standen.

Naturwissenschaft und Glaube zu versöhnen – das ist des Schweißes der Edlen wert. Tiplers Motive bei diesem schweren Unterfangen sind lauter, sein Engagement ehrenwert, besonders wenn die Gottesleugner (Richard Dawkins und andere) resonanzmächtig publizieren und die Atheismus-Busse durch die Lande kurven. Doch wenn er Physik und Kosmologie so massiv auf die verlängerte Werkbank der Religion zwingt, dürfen doch Bedenken geäußert werden. Glaube und Religion sind souverän und stehen sich in Augenhöhe gegenüber – aber eben auch in Distanz. Sie zu vermischen, nennt die Philosophie einen Kategorienfehler.

Frank J. Tipler: Die Physik des Christentums, Piper Verlag, München 2009, gebunden, 429 Seiten, 22,90 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen