© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/09 28. August 2009

Ludwig Baumann. Mit einem neuen Gesetz setzt sich die Ikone der Anti-Kriegsbewegung durch
Der Deserteur
Bernhard Brandt

Der ältere Herr wirkt mitunter unsicher, während er spricht, sucht er nach den richtigen Worten. Dennoch ist er engagiert, geradezu entwaffnend ehrlich. Ludwig Baumann gibt wieder einmal ein Interview, das wievielte, weiß er wohl selbst nicht. Baumann ist ein gefragter Mann, denn er desertierte 1942 aus der Wehrmacht.

Jahrzehntelang war es ruhig um Baumann. Heute erzählt er mit dünner Stimme, wie in der jungen Bundesrepublik Deserteure Verräter, Verbrecher und Feiglinge genannt worden seien. Erst in den achtziger Jahren, im Zuge der Friedensbewegung, habe er das Gefühl gehabt, daß ihm Gerechtigkeit widerfahre. So gesehen steht der 1921 in Hamburg geborene Baumann nun am Höhepunkt seines Lebens.

Schnell wurde er zum Held linksradikaler Gruppen, gründete die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, wurde ihr Vorsitzender und hatte Erfolg: Der Bundestag hob 1998 die „Urteile des NS-Unrechtsregimes“ auf (NS-AufhG) und rehabilitierte damit auch die Fahnenflüchtigen der Wehrmacht. Wurden damit zunächst nur die Urteile des Volksgerichtshofs und der Standgerichte annulliert, gelten mit dem Änderungsgesetz von 2002 (NS-AufhGÄndG) auch die Urteile der Militärgerichte gegen Deserteure der Wehrmacht als aufgehoben. Am Mittwoch dieser Woche folgte nun der letzte Streich: der Rechtsausschuß beriet über die sogenannten „Kriegsverräter“, die dann am 8. September rehabilitiert werden – mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion. Und am 1. September, zum 70. Jahrestag des Angriffs auf Polen, wird in Köln hochoffiziell ein „Denkmal für Deserteure“ eingeweiht. Ludwig Baumann hat es geschafft. Noch mehr Interviews, noch mehr Reden, noch mehr mahnende Worte.

Dabei verbirgt sich hinter Baumanns Erfolg eine Geschichte voller Ungereimtheiten. Der Historiker Franz W. Seidler erinnert in einem Interview mit der Deutschen Militärzeitschrift daran, daß die Umstände von Baumanns Fahnenflucht ungeklärt sind. Seidler weist darauf hin, daß die meisten Fahnenflüchtigen nicht etwa aus Gewissensgründen, „sondern aus unpolitischen Motiven wie Verbrechen, Feigheit, Unlust oder mangelnde Unterordnung desertiert sind“. Man muß sich daher schon auf Baumanns Worte verlassen, wenn er von „damals“ erzählt.

Als Marinesoldat in Frankreich habe er sich eine geladene Pistole besorgt und wollte mit Hilfe der Résistance in die USA gelangen – wurde jedoch gestellt. Weshalb aber bewaffnet sich jemand, der angeblich „niemals töten könnte“? Und wie kam er, ein einfacher Soldat, zu so brisanten Feindkontakten? Darüber spricht Baumann nicht. Und danach fragen auch jene nicht, die in ihm einen glänzenden Werbeträger für die anti-militärische Sache gefunden haben. Viel lieber zeichnet Baumann seinen späteren Lebensweg nach, der von Alkoholsucht und Mißerfolg gezeichnet ist, und an allem ist – das ist klar – die ungerechte Behandlung seitens der deutschen Militärjustiz schuld.

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