© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/09 21. August 2009

Die Empörungsmaschinerie
Jens Bergmann und Bernhard Pörsen haben eine soziologische Untersuchung über die Skandalisierung in den Medien herausgegeben
Wolfgang Nettesheim

Gerade hatten wir wieder einen „Skandal“, nämlich die „Dienstfahrten“ der in Südspanien weilenden Gesundheitsministerin mit einem standesgemäßen Typ der „Premium-Klasse“, Mercedes Benz, S 320 D plus Chauffeur. So zwergenhaft die Bedeutung dieses „Skandals“ ist – auch und vor allem wegen der beteiligten Personen –, so typisch und daher interessant ist doch das „Schnittmuster“.

Da kommt eine wissenschaftliche soziologische Untersuchung mit dem Titel: „Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung“ zur rechten Zeit. Bemerkenswert ist die Nüchternheit und wissenschaftliche Objektivität und Fundiertheit bei einem Thema, das nach Emotionalität und „politischer Korrektheit“ geradezu schreit. Knapp dreißig „Skandale“ werden analysiert, indem Studenten des Fachs Journalismus der Universität Hamburg „Experten“ interviewen – meistens Medienschaffende, die an der Aufdeckung gewisser „Skandale“ beteiligt waren.

Stellvertretend sei das Interview mit dem zur Zeit prominentesten „Skandal“-Entdecker Hans Leyendecker genannt oder mit dem Journalisten Udo Röbel, der 1984 den Skandal des Rufmordes am Bundeswehrgeneral Kießling aufdeckte und vier Jahre später den „Sündenfall seines Lebens“ beging, als er die Gladbecker Geiselnehmer Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner im Pkw der Gangster aus der Kölner Innenstadt lotste und als Sensationsjournalist die letzten Minuten der Geisel Silke Bischoff bebilderte und beschrieb.

Der Begriff kommt aus dem Griechischen: Skándalon bedeutet Fallstrick. Seine Grundstruktur und seine große Bedeutung ergeben sich aus einer wohl vom griechischen Philosophen Epikur stammenden Sentenz, daß nicht die Dinge an sich uns beunruhigen, sondern die Meinung der Menschen darüber. Die Zahl der „Skandale“ hat inzwischen inflationäre Dimensionen. Die Produktion ständig neuer Aufreger ist von ganz erheblicher ökonomischer Bedeutung. Skandale sorgen für Aufmerksamkeit und damit für Auflage und Einschaltquoten. Zudem verleihen sie dem, der sie aufdeckt, Macht.

Im Mittelpunkt des Buches steht die Frage, wie Skandale produziert und kontrolliert werden und wie man sich dagegen wehren kann, an den Pranger gestellt zu werden. Diesen Fragen gehen die Interviews auf den Grund. Der entscheidende Schritt auf dem Weg zum Skandal ist die Enthüllung. Sie zieht unsere Aufmerksamkeit magisch auf sich.

Ein Lehrstück der Skandalisierung ist die Affäre „Brent Spar“. Dabei waren die Rollen von Gut und Böse eindeutig verteilt. Alle Welt solidarisierte sich in diesem Kampf mit David gegen Goliath. Der uneinsichtige Goliath wird bezwungen. Die Niederlage des Skandalisierten ist unbedingt notwendig, denn die kollektiven Gefühle, aufs höchste aufgebracht, verlangen Genugtuung. Damit beschäftigt sich das sehr interessante Interview mit Thilo Bode, zu der Zeit des „Skandals“ Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland. In der Kampagne gegen die Versenkung der Ölplattform Brent Spar knickte Shell ein. Später stellte sich heraus, daß Greenpeace mit falschen Zahlen über Giftstoffe in der Plattform operiert hatte.

Der Skandal hat heute viele Profiteure; die einschlägige Presse ist daher mehr denn je auf Empörung abonniert. Der Soziologe Karl Otto Hondrich stellt in seinem Werk „Enthüllung und Entrüstung, eine Phänomenolodie“ (Frankfurt 2002) heraus, daß der politische Skandal ein Instrument der Herrschaftskontrolle und des Machtwechsels ist und sich ein „Markt für Enthüllungen“ etabliert hat.

Das Grundmuster sei zunächst eine moralische Verfehlung von hochgestellten Personen oder Institutionen, verbunden mit einer Enthüllung dieser Verfehlungen und als wichtigster Bestandteil die weithin geteilte Empörung. Der Grad der Entrüstung zeige an, wie sehr moralische Gefühle verletzt werden. Dies verlange Genugtuung. Die moralische Verfehlung alleine begründe noch lange keinen Skandal. Die Enthüllung sei der notwendige zweite Schritt. Sie verheiße eine Entdeckung und entfalte eine Anziehungskraft an sich. Die Vollendung erreiche der Skandal in der Entrüstung. Hier werde eine Unterscheidung zwischen den Bösen und den Guten getroffen. Erst die kollektive Entrüstung lasse den Skandalversuch zum Skandal reifen.

Es gibt allerdings Skandale, die im Gefolge der dabei erregten Entrüstung auch positive Auswirkungen haben, wie die „Affäre Dreyfus“ zeigt, die in diesem Falle von einem Vertreter „des Guten“, nämlich dem Schriftsteller Émile Zola, enthüllt wurde. Das rezensierte Buch ist quasi eine Handreichung zur nüchternen und sachlichen Überprüfung von „Skandalen“.

Jens Bergmann, Bernhard Pörksen (Hrsg.): Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung. Herbert von Halem Verlag, Köln 2009, broschiert, 352 Seiten, 18 Euro

Foto: Medienskandale in Deutschland; Ulla Schmidts Dienstwagenaffäre 2009, Eva Herman 2008, Scharping/Pilati 2002 oder Brent Spar 1995: Rollen von Gut und Böse werden eindeutig verteilt

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