© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/09 21. August 2009

Tragische Dimension
Literatur: Arno Surminski erzählt vom Heimatverlust
Thorsten Hinz

Als Einstieg in das Werk Arno Surminskis sei der 1976 veröffentlichte Erzählband „Aus dem Nest gefallen“ empfohlen, der im Untertitel „Geschichten aus Kalischken“ heißt. Kalischken ist ein imaginärer Ort in Ostpreußen und spielt auf das „Suleyken“ des damals schon berühmten Siegfried Lenz an. Der Vergleich mit „So zärtlich war Suleyken“ geht klar zugunsten von Kalischken aus. Während das Werk von Lenz sich ohne weiteres mit sentimentalen Begriffen wie „liebevoll“ oder „wehmütig“ erfassen läßt, erreicht Surminski den Bereich des Tragischen.

Der Schriftsteller wurde 1934 im ostpreußischen Dorf Jäglack geboren, das unmittelbar an der heutigen russisch-polnischen Demarkationslinie liegt. Seine Eltern wurden 1945 nach Rußland deportiert, wo sie umkamen, der noch nicht Elfjährige strandete in Schleswig-Holstein. 1974 erschien sein erster Roman „Jokehnen oder wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland“, dem noch viele folgten. Einige wurden verfilmt.

Surminski wurde lange als Unterhaltungsschriftsteller abgetan, was bedeutet: Er schreibt flott, aber simpel. Dieses Fehlurteil entsprang der Irritation über seine stille Weigerung, sich den eindimensionalen Schulddiskurs zu eigen zu machen, der den Heimatverlust auf den Zusammenhang von Schuld und Rache reduziert. Surminski bestand auf der geschichtlichen Komplexität: So wird ein französischer Kriegsgefangener zum Zeuge des Massakers, das die Rote Armee an den Dorfbewohnern von Kalischken und an seinen Kameraden verübt. Auch er wird als unliebsamer Zeuge beseitigt – um dann in seinem Heimatland als Opfer des Faschismus verehrt zu werden.

Im Roman „Sommer 1944“ (1997) wird in wenigen, lapidaren Sätzen das Verschwinden eines alten Kulturraums umrissen: „Heydekrug kam in den Wehrmachtsberichten nicht mehr vor, der Mingefluß geriet in Vergessenheit. Den Brückenkopf Memel gab es noch. Tilsit, die schönste Stadt des preußischen Nordens, verlor die der Königin geweihte Brücke. Sie fiel nach einer schweren Detonation in den Strom. (...) Die Ruinen von Königsberg deckte der Schnee gnädig zu. Das Königstor glich dem von Caspar David Friedrich gemalten Gemäuer eines verfallenen Klosters im Pommerschen.“ Die geistig-kulturelle Potenz Deutschlands wird auch von der Fähigkeit abhängen, solche historischen Anspielungen zu verstehen und ihre tragische Dimension zu erfassen.

Am 20. August feiert Arno Surminski seinen 75. Geburtstag.

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