© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/09 21. August 2009

Viele Angaben lassen zu wünschen übrig
Die lukrativen Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten: Trotz Finanzkrise sind im Jahr 2009 Steigerungen zu vermelden
Klaus Peter Krause

Die Ansichten darüber sind geteilt, aber immerhin werden sie nun veröffentlicht – die Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten. Seit gut zwei Jahren kann sie jedermann einsehen. Erstmals war das am 5. Juli 2007 möglich. Aber befriedigt das? Das Gesetz dafür hatte der Bundestag schon am 30. Juni 2005 verabschiedet. Am 18. Oktober des gleichen Jahres war es in Kraft getreten. Amtlich nennt es sich 26. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, vulgo schlicht und klar Nebeneinkünftegesetz. Es verpflichtet die Abgeordneten des Deutschen Bundestages dazu, ihre Nebeneinkünfte aufzudecken.

So etwas mögen Abgeordnete nicht so gern. So hatten neun von ihnen  Verfassungsklage gegen das Gesetz erhoben: einer von der SPD, drei von der FDP, zwei von der SU, drei von der CDU (darunter Friedrich Merz und Siegfried Kauder). Aber die Verfassungsrichter waren sehr geteilter Meinung. Vier stimmten der Klage zu, vier lehnten sie ab. Nach den Regeln des Gerichts bedeutete das: Die Klage war abgewiesen.

Die Nebeneinkünfte sind das, womit die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ihre Diäten, ihre amtliche Tätigkeitsvergütung, aufbessern. Angeben müssen sie alle, die einen Gesamtbetrag von monatlich 1.000 Euro oder jährlich 10.000 Euro überschreiten, darunter nicht. Aber so richtig auf Heller und Pfennig offenlegen müssen sie die Nebeneinkünfte auch dann nicht, wenn sie über diesen 1.000 oder 10.000 Euro liegen. Dann nämlich müssen sie die verschiedenen Nebeneinkünfte nur jeweils einer von drei Kategorien zuordnen.

Handelt es sich um Beträge zwischen 1.000 und 3.500 Euro (Stufe 1), müssen sie nur angeben, wieviel Nebenverdienste der Stufe 1 sie bekommen. Sind es zum Beispiel drei, bedeutet das zusammen einen Betrag von mindestens 3.000 und höchstens 10.500 Euro. Der genaue Betrag bleibt öffentlich unbekannt. Nicht anders bei Einkünften der Stufe 2 (zwischen 3.500 und 7.000 Euro) sowie der Stufe 3 (alle Einkünfte von mehr als 7.000 Euro). Hat also ein Abgeordneter beispielsweise vier Nebeneinkünfte der Stufe 3, weiß man nur, daß es zusammen jährlich mindestens 28.000 Euro sind, es können aber auch viele Millionen sein. Tatsächlich erfährt der Bürger also nur zweierlei: erstens wie viele einzelne Nebeneinkünfte der Abgeordnete hat (aufgeteilt nach den drei Stufen), und zweitens kann er sich dann ausrechnen, wie hoch der gesamte Betrag dieser Einkünfte mindestens ist. In Wirklichkeit kann dieser Gesamtbetrag sehr viel höher sein, theoretisch sogar unendlich hoch.

Rein theoretisch wäre es auch möglich, daß ein Abgeordneter sehr, sehr viele Nebeneinkünfte hat, von denen aber kein Einzelbetrag monatlich 1.000 Euro überschreitet. Folglich besteht für ihn auch keine Anzeigepflicht. Wer also keinerlei Nebeneinkünfte angeben muß, kann sehr wohl welche haben, sogar sehr hohe.

Außerdem können die Abgeordneten wunderbar lavieren. Gibt einer zum Beispiel zwei Nebeneinkünfte mit „Stufe 2 (monatlich)“ an, dann sind das mindestens zweimal 3.500 = 7.000 Euro im Monat, also 84.000 im Jahr. Benennt er aber die gleichen Nebeneinkünfte mit „Stufe 3 (jährlich)“, sind das mindestens zweimal 7.000 Euro, also nur 14.000 Euro im Jahr. Wer so verfährt, schummelt. Aber er darf es. Wer möglichst wenig preisgeben will, wählt für seine Angabe am besten die „Stufe 3 (jährlich)“. Wirkliche Transparenz ist das also überhaupt nicht.

Allerdings sind die Angaben zu den Nebeneinkünften Bruttozahlen. Sie berücksichtigen nicht, welche etwaigen Ausgaben davon zu bestreiten sind. Handelt es sich beispielsweise um Einkünfte aus unternehmerischer Tätigkeit, können damit hohe Kosten verbunden sein – anders als bei Vortragshonoraren oder Vergütungen für Aufsichtsratsposten. Was also den Abgeordneten von den Nebeneinkünften netto übrigbleibt, erschließt sich nach dem Nebeneinkünftegesetz nicht.

Überhaupt nicht anzeigepflichtig sind Einkünfte aus Kapitalbeteiligung und aus Gesellschaften bürgerlichen Rechts. Nicht zu den Nebeneinkünften der Bundestagsabgeordneten zählt die steuerfreie Kostenpauschale, die die Abgeordneten erhalten. Davon sollen sie ihr Wahlkreisbüro unterhalten und Reisen bezahlen, die sie „in Ausübung ihres Mandats“ unternehmen. Diese Kostenpauschale bekommen sie zusätzlich zu der „Amtsausstattung“.

Dies alles muß man wissen, um die Aussagekraft von Zusammenstellungen zu beurteilen, wie sie zum Beispiel das Beratungsunternehmen Deducto GmbH, Neunkirchen (www.deducto.de) Anfang Juli in einer Studie zum zweiten Mal vorgelegt hat. Danach haben die Abgeordneten bei ihren Nebentätigkeiten trotz der großen Finanzkrise keine finanziellen Einbußen erlitten – im Gegenteil, ihre Nebeneinkünfte sind von 2008 gegenüber 2007 um mindestens 14,5 Prozent gestiegen.

Insgesamt beliefen sich diese Einkünfte auf mindestens 6,66 Millionen Euro. 2007 waren es 5,81 Millionen. Und in den ersten vier Monaten 2009 haben die Abgeordneten nach Angaben der Studie schon 5,56 Millionen Euro an Nebeneinkünften erreicht. Ihre Diäten hätten sich um 4,7 Prozent erhöht und ihre Kostenpauschale um knapp acht Prozent. Dagegen seien die Einkommen verschiedener anderer Gruppen (Hartz-IV-Empfänger, Rentner, Arbeitnehmer) im Durchschnitt um 1 bis 3,5 Prozent gestiegen.

Das offenbart, wie es in der Deducto-Studie heißt, nur schwer nachvollziehbare Diskrepanzen. Für den Initiator der Studie und Leiter der Deducto-Datenanalyse, Marco Geuer, stellt sich damit um so mehr die Frage: „Wie können in wirtschaftlich so schwierigen Zeiten, Einkommen, die nichts mit dem Mandat zu tun haben, steigen? Wird nicht in jeder Sekunde der Mandatsträger in Krisenzeiten dort benötigt, wo der Bürger es erwartet?“ Zwar räumt Deducto-Geschäftsführer Bodo Bruder ein: „Natürlich sind Nebentätigkeiten, aus denen Nebeneinkünfte erwachsen, nicht verboten. Aber sind sie auch im Sinne der Bürger und Wähler gewünscht, und sind sie mit einem komplexen Aufgabenbereich wie einem Bundestagsmandat vereinbar?“

Angaben zu ihren Nebeneinkünften haben 156 Abgeordnete gemacht. 2007 waren es 144. Die Anzahl der „Entgeltlichen Tätigkeiten neben dem Mandat“ erreicht in einem Fall (mindestens) den Spitzenwert von 62 Nebentätigkeiten.

Die höchsten Nebeneinkünfte beliefen sich im Jahr 2008 auf mindestens 125.500 Euro, die Abgeordnetenentschädigung (Diät) auf 88.068 und die Kostenpauschale auf 45.384 Euro. Im laufenden Jahr beträgt die Diät 92.016 und die Kostenpauschale 46.416 Euro. Im Durchschnitt bezogen die 156 Abgeordneten, die Angaben gemacht haben, 2008 mindestens 42.683 Euro an Nebeneinkünften. Im Jahr davor waren es 144 Abgeordnete mit durchschnittlich mindestens 40.364 Euro. In den ersten vier Monaten 2009 sind es 131 Abgeordnete mit durchschnittlich 42.477 Euro.

Nach Angaben von www.nebeneinkuenfte-bundestag.de hatte Walter Riester (SPD) 2008 mit 62 die meisten Nebentätigkeitsvertragspartner. Es folgen Guido Westerwelle (FDP) mit 38, Hermann Scheer (SPD) mit 31, Wolfgang Thierse (SPD) und Heinz Riesenhuber (CDU) mit je 24, Friedrich Merz (CDU) mit 21, Norbert Lammert (CDU) mit 18, Konrad Schily (SPD) mit 18, Georg Schirmbeck und Joachim Pfeiffer (beide CDU/CSU) mit je 17.  Walter Riester hatte mit mindestens 144.500 Euro 2008 auch die höchsten angegebenen Nebeneinkünfte. An zweiter Stelle lag Klaus Brandner (SPD) mit 129.500 und an dritter Klaas Hübner (SPD) mit 120.000 Euro.

Die Deducto GmbH bemängelt die jetzige Praxis: „Bereits nach kurzer Zeit, in der wir uns mit den veröffentlichten Daten auseinandergesetzt haben, wurde offensichtlich, daß weder die Darstellung der Angaben noch deren Inhalt den Wünschen der Öffentlichkeit entsprechen. So wurden teilweise Angaben nicht beziehungsweise verspätet, unvollständig und fehlerhaft gemacht. Den Einzelangaben je Mandatsinhaber fehlt jede Änderungshistorie. Wann genau welche Angaben verändert oder ergänzt wurden, ist in keiner Weise nachzuvollziehen. Eine statistische Auswertung der Daten auch im Sinne einer Entwicklung der Nebeneinkünfte im Laufe der Zeit ist dadurch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.“

Und Geuer als Initiator der Studie fügt hinzu: „Weiterhin ist für den Parlamentsfernen nicht zu ersehen, wie überhaupt festgestellt werden kann, ob tatsächlich alle Nebeneinkünfte angegeben wurden. Hier regiert dann, so könnte man meinen, Kommissar Zufall, wenn es darum geht, entsprechende Klarstellungen über die Gesamtheit der Bezüge herzustellen.“

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat daraufhin erklärt: „Die derzeit von verschiedener Seite zu vernehmende Kritik an der Aussagekraft der veröffentlichten Angaben über Nebentätigkeiten halte ich für berechtigt. Ich habe mit ebendieser Begründung sowohl damals von der Verabschiedung dieser Regeln abgeraten als auch erneut zur beginnenden Legislaturperiode den Fraktionen ausdrücklich empfohlen, sie in dieser Form nicht in Kraft zu setzen. Dieser meiner Empfehlung sind sie nicht gefolgt.“

Foto: Bundestagssitzung: Lassen sich Nebenbeschäftigungen mit solch komplexem Aufgabenbereich vereinbaren?

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