© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/09 21. August 2009

Versailler Vertrag für die Isländer
Island: Großbritannien und die Niederlande zwingen die Steuerzahler der Inselrepublik dazu, für die Pleite einer Privatbank zu haften
Auðunn Arnórsson

In dieser Woche debattiert und entscheidet das isländische Parlament (Althing) über einen Regierungsvorschlag, der sowohl das Überleben der Regierungskoalition aus sozialdemokratischer Allianz und Linksgrünen (JF 19/09) als auch das Schicksal des vor einem Monat gestellten EU-Beitrittsantrags Islands in Frage stellen könnte. Es handelt sich um die Ratifizierung des „Icesave-Abkommens“, das im Juni zwischen den Regierungen Islands, Großbritanniens und der Niederlande geschlossen wurde.

Darin geht es um etwa 3,8 Milliarden Euro, die rund 300.000 britische und niederländische Sparer auf Hochzins-Internetkonten der isländischen Landsbanki hatten, als die erst 2003 voll privatisierte Ex-Staatsbank im Oktober 2008 kollabierte.

Die Regierungen in Den Haag und London haben das Geld längst an zornige Renditejäger ausgezahlt. Nun fordern sie es von der isländischen Regierung zurück, da geltendes EU-Recht davon ausgehe, daß die Staatskasse des Heimatlandes der Pleitebank einspringt, wenn der Einlagensicherungsfonds des Landes leer ist. Die Landsbanki hat die Icesave-Konten in EU-Ländern anbieten können, da Island (zusammen mit den EFTA-Partnern Norwegen und Liechtenstein) seit 1994 durch das EWR-Abkommen in den EU-Binnenmarkt integriert ist.

Gemäß dem Icesave-Abkommen soll diese Milliardensumme, die 12.000 Euro pro Kopf des 320.000 Seelen zählenden Inselvolkes entspricht, in 15 Jahren zurückgezahlt werden – mit 5,5 Prozent Zinsen. Die ersten Ratenzahlungen sind zwar erst 2016 fällig, die Zinsen ticken allerdings schon seit Januar dieses Jahres – und sie alleine entsprechen den gesamten staatlichen Ausgaben für das isländische Gesundheitswesen. Durch Erlöse aus dem Verkauf der Aktiva der Landsbanki hofft die Regierung diese Rechnung erheblich verringern zu können, doch das ist ungewiß. Ministerpräsidentin Jóhanna Sigurdardóttir bezeichnet die Icesave-Debatte als „die wichtigste Angelegenheit, die das Althing je hat behandeln müssen“. Schließlich geht es darum, die isländischen Steuerzahler für die Finanzabenteuer einer Privatbank so teuer bezahlen zu lassen, daß ihr Leben für Jahrzehnte darunter leiden wird.

Außenminister Össur Skarphéðinsson hat in den vergangenen Wochen mit fast allen Amtskollegen der EU-Länder gesprochen und ihnen erklärt, die Regierung tue ihr bestes, um das Abkommen durchs Parlament zu bringen. Finanzminister und Linksgrünen-Chef Steingrímur Jóhann Sigfússon warnte vor den Folgen einer Nicht-Ratifizierung; Island laufe damit Gefahr, vom internationalen Finanzmarkt gänzlich abgeschnitten zu werden. Doch die meisten Isländer sind der Meinung, das Abkommen sei „erdrückend und unfair“. So sehen es auch viele Abgeordnete im Althing.

„Man ist dabei, die Isländer zu 20 Jahre Armut zu verurteilen“, wetterte Höskuldur Þórhallsson von der oppositionellen Fortschrittspartei. „Die Briten und die Holländer zwingen uns, das Icesave-Abkommen bedingungslos zu akzeptieren, und sie benutzen die EU als Brechstange“, warnte der linksgrüne Gesundheitsminister Ögmundur Jónasson (JF 18/09).

Niederländische Minister hatten zuvor gewarnt, sie würden sich gegen die EU-Aufnahme Islands stellen, sollte das Abkommen nicht unverzüglich ratifiziert und umgesetzt werden. „Die EU-Gegner werden dies für ihre Ziele voll ausschöpfen“, meint Magnús Árni Magnússon, Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Universität in Reykjavík.

Im Finanzausschuß ist am Wochenende daher ein Konsens zwischen allen Fraktionen (außer der Fortschrittspartei) darüber erreicht worden, welche Bedingungen das Althing an die staatlichen Icesave-Verpflichtungen heften will. Eine Mehrheit für die Ratifizierung sollte damit gesichert sein. Ob die Regierungen in Den Haag und London dies aber akzeptieren, muß sich noch zeigen. Die Härte des Icesave-Abkommens und das verbreitete Gefühl, zur Unterzeichnung einer Art „Versailler Vertrag“ gezwungen worden sein, hat die Begeisterung für einen EU-Beitritt merkbar gesenkt. Laut einer Gallup-Umfrage sind nur noch 41,7 Prozent dafür.

Auch Eva Joly – die für ihren Einsatz als Untersuchungsrichterin im Elf-Skandal in Frankreich berühmt wurde, heute für die französischen Grünen im EU-Parlament sitzt und zugleich Beraterin des isländischen Bankensturz-Sonderstaatsanwalts ist – hat London, Den Haag, Brüssel, die nordischen Länder und den Internationalen Währungsfonds (IWF) hart kritisiert. Sie mahnte zugleich ein faireres Vorgehen der „Freunde“ Islands an, da andernfalls Rußland die Situation „ausnützen“ könnte.

Der russische Botschafter in Reykjavík, Viktor Tatarintsew, hat darauf schon in einem Interview mit dem Portal Netvarpid.is reagiert: Er warf Joly vor, in die unheilvolle Denkweise des Kalten Krieges zurückzufallen. Zugleich behauptete er, Island wäre es viel besser ergangen, hätte man im Oktober 2008 das Vier-Milliarden-Kreditangebot der russischen Regierung angenommen. Isländische Regierungsvertreter bestritten allerdings, daß der Milliardenkredit aus Moskau je ernsthaft angeboten wurde.

Island erhielt daher vorige Woche Schützenhilfe aus unerwarteter Richtung: Die Londoner Financial Times kritisierte das Icesave-Abkommen in ihrem Leitartikel als unfair. Es lege dem kleinen isländischen Volk zu große Lasten auf, was letztlich in niemandes Interesse sei. Es könne das Land zu einer langjährigen Rezession verurteilen und – durch seine politischen Folgen in Island – das strategisch gelegene und an Naturressourcen reiche Land aus der EU heraushalten.

Währenddessen gehen die Vorbereitungen der kommenden Beitrittsverhandlungen weiter. Die EU-Kommission hat einen Katalog von etwa 3.000 Fragen nach Reykjavík geschickt, die möglichst ausführlich von den dortigen Ministerien beantwortet werden müssen. Reykjavík hofft, daß bereits auf dem EU-Gipfel im Dezember die Entscheidung zur formellen Aufnahme von Beitrittsverhandlungen getroffen wird. Aus Brüssel kommen eher zurückhaltende Signale. Frühestens in November soll eine offizielle Vertretung der EU-Kommission in Reykjavík eröffnet werden. Bisher wird Island von Oslo aus mitverwaltet.

Foto: Finanzminister Sigfússon, Regierungschefin Sigurdardóttir: EU-Gegner bald auf dem Vormarsch?

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