© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/09 21. August 2009

Der Staat räumt das Feld
Berlin: Immer häufiger tritt die Polizei den Rückzug an, um Konflikten mit Linksextremisten oder Einwanderern aus dem Weg zu gehen
Fabian Schmidt-Ahmad

Es gibt viele Sätze, die als moralische Phrase der eigenen Eitelkeit schmeicheln, aber ihre Lebensuntauglichkeit offenbaren, sobald sie in die soziale Wirklichkeit überführt werden. So ist es auch mit dem Schlagwort „keine Gewalt“; für sich genommen eine sympathische Eigenschaft, auf alle Lebensbereiche ausgedehnt aber das Gegenteil verursachend: nämlich mehr Gewalt. Derzeit zu beobachten in Berlin.

Seit vielen Jahren arbeitet der rot-rote Senat daran, die Staatsgewalt in eine Art „Praxis des kommunikativen Handelns“ zu überführen. Die Früchte dieses Bemühens ernten jetzt die Berliner Polizisten, deren Uniform schon längst kein Symbol der Autorität, sondern eine einzige Zielscheibe geworden ist. Muslimische Großfamilien und Linksextremisten liefern sich regelmäßige Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht, um ihre Grenzen neu zu ziehen. Und jeden Tag zieht sich der Staat ein wenig mehr zurück.

Ein kurzer Blick auf den Polizeibericht der vergangenen Tage zeigt, wie weit bereits der rechtsfreie Raum aufgebrochen ist. Im Bezirk Kreuzberg kam es am frühen Samstagmorgen zu einem Kampf zwischen Polizisten und den Gästen eines hauptsächlich von Arabern besuchten Lokals. Anlaß waren falsch geparkte Fahrzeuge, die von einer Polizeistreife notiert wurden. Als dies die Gäste bemerkten, umringten und bedrohten sie die Beamten. Eine hinzueilende Verstärkung der Polizei mußte sich vor der inzwischen rund vierzig Personen umfassenden Gruppe zurückziehen.

Einen Tag später wurden zwei Männern im Bezirk Friedrichshain beim illegalen Plakatieren ertappt. Polizeibeamte, die einen Tatverdächtigen in Gewahrsam nahmen, wurden von einer Gruppe von rund dreißig offensichtlich linksextremen Personen umzingelt und angegriffen. Dabei konnte einer der Verdächtigen fliehen. Am folgenden Tag kam es zu einer Auseinandersetzung, als Polizisten im Bezirk Neukölln eine Gruppe von fünf Randalierern festnehmen wollten. Auch hier bildete sich ein Menschenauflauf, bei dem die Beamten mit Faustschlägen verletzt wurden. Wieder gelang einem Tatverdächtigen die Flucht.

„Täglich müssen Kollegen erleben, wie Achtung und Respekt vor dem Staat dramatisch abnehmen“, stellte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, gegenüber der Bild-Zeitung fest. Doch die Forderung der Gewerkschaften, wieder mehr Beamte einzustellen, blendet das eigentliche Problem aus. Nicht die Personallage sei für die Mißstände verantwortlich, verteidigt sich SPD-Innensenator Ehrhart Körting. „Vielmehr gibt es hier in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen einen generellen Trend, sich gegen staatliche Autorität zu wenden.“

Was Körting zu erwähnen vergißt: Er selbst hat an diesem Autoritätsverlust fleißig mitgearbeitet. „Deeskalation“ heißt das Zauberwort, mit dem Körting sein Amt bestreitet. Das klingt freundlich und rücksichtsvoll, allerdings auch reichlich nach Feigheit. Zumindest eine Anekdote im Vorfeld der Berliner 1.-Mai-Krawalle läßt diesen Verdacht aufkommen. Mit einem B.Z.-Reporter traf sich der Senator Ende April in einem Friedrichshainer Lokal, auf welches ein linksextremer Anschlag verübt wurde. Die Polizei habe die Lage eigentlich gut im Griff, sagte Körting bei diesem Gespräch.

Da bemerkte er eine Gruppe schwarz gekleideter Personen, die sich plötzlich vor dem Lokal sammelte. Ob die Täter auch so ausgesehen hätten, fragte Körting den Wirt. Dieser bestätigte. Da sprang der Innensenator auf, er müsse jetzt gehen, und lief mit seinen Personenschützern davon. „Vor unseren Augen hatte der oberste Sicherheitschef dieser Stadt sehr eilig die Bühne geräumt, als die Pöbler in den schwarzen Lederjacken auftauchten. Das hinterließ bei uns ein eigenartiges und ungutes Gefühl“, resümierte der Reporter.

Die folgenden 1.-Mai-Krawalle gehörten dann zu den schlimmsten der Berliner Geschichte. Polizisten seien durch die Politik „zur Steinigung freigeben“, schäumte der Berliner Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Bodo Pfalzgraf. Weit über 400 Polizisten wurden bei den seit Jahren schwersten Ausschreitungen verletzt.

Offensichtlich hatten diese etwas falsch gemacht – oder haben ganz einfach die unpassende Hautfarbe. „Von den 16.000 Mitarbeitern sind nur 300 Migranten“, kritisierte SPD-Bundesjustizministerin Brigitte Zypries die Berliner Polizei. „Das ist ein erhebliches Mißverhältnis“, sagte sie der Berliner Zeitung. Denn durch Steigerung der „interkulturellen Kompetenz“ könne man „wesentlich besser Probleme oder Konflikte lösen“, phantasiert Zypries. Und mit ihr der Senat, der derzeit gezielt Jugendliche aus Einwandererfamilien umwirbt, was in der Praxis positive Diskriminierung und Absenkung der Zulassungskriterien heißt.

Am vergangenen  Wochenende fand übrigens in Kreuzberg eine Demonstration unter dem Motto „Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf“ statt. Außer einer kleinen Rangelei kam es zu keinen weiteren Vorkommnissen. Man darf gespannt sein, wie die Sache ausgehen wird, wenn vermehrt Polizisten mit „multikultureller Kompetenz“ die staatliche Gewalt auf Berlins Straßen ausüben werden.

Foto: Linksextremistische „Antifaschisten“ in Berlin: Zunehmender Autoritätsverlust

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