© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/09 14. August 2009

Kolumne
Die „Völkerabfälle“ des Marxismus
Klaus Motschmann

Anläßlich des fünfzigsten Jahrestages ihrer Gründung hat die baskische Untergrundbewegung Eta seit Anfang August mehrere Anschläge auf der Ferieninsel Mallorca verübt, die heftige politische Reaktionen in Spanien und ein breites Medienecho in ganz Europa ausgelöst haben. Dieses Echo veranschaulicht, daß in diesem Dauerkonflikt noch immer keine befriedigende Lösung in Sicht ist, weil auch die eigentlichen Ursachen noch immer nicht benannt werden. Die weitverbreitete These, daß es sich bei diesem Streit um eine Erblast des Franco-Regimes handelt, überzeugt nicht mehr. Seit drei Jahrzehnten hat sich in Spanien ein radikaler politischer Wandel zu einem parlamentarischen System vollzogen, der allerdings nicht zu einem entsprechenden Wandel der baskischen Untergrundbewegung geführt hat.

Tatsächlich liegen die Gründe dieses Konflikts auch sehr viel tiefer. In diesem Zusammenhang sollte bedacht werden, was Karl Marx und Friedrich Engels zu diesem Thema, vor allem aber zur vermeintlich alleinigen „Lösung“ dieses Problems gesagt haben: „Es gibt kein Land in Europa, das nicht in irgendeinem Winkel eine oder mehrere Völkerruinen besitzt... Diese Reste einer von dem Gang der Geschichte, wie Hegel sagt, unbarmherzig zertretenen Nation, diese Völkerabfälle werden jedesmal und bleiben bis zu ihrer gänzlichen Vertilgung oder Entnationalisierung die fanatischen Träger der Konterrevolution, wie ihre ganze Existenz überhaupt schon ein Protest gegen eine große geschichtliche Revolution ist. So in Schottland die Gälen ... So in Frankreich die Bretonen ... So in Spanien die Basken.“ An eine friedliche, demokratische Lösung sei deshalb nicht zu denken. Den einzigen Ausweg aus dieser Situation sahen Marx und Engels darin, „diese kleinen stierköpfigen Nationen bis auf ihren Namen zu vernichten. Der nächste Weltkrieg wird nicht nur reaktionäre Klassen und Dynastien vom Erdboden verschwinden machen. Und das ist auch ein Fortschritt.“ (MEW 6,172 u. 176)

Daß es sich bei diesen Äußerungen keinesfalls um beiläufige Randbemerkungen aus der Frühzeit des Sozialismus handelt, beweist die Nationalitätenpolitik Lenins und Stalins seit 1917. Sie sollte deshalb nicht als „Entartung“, sondern als folgerichtige Entwicklung eines Grundsatzes der Klassiker des Marxismus verstanden werden.

Im Baskenland ist man sich dieses Urteils weithin bewußt; in Deutschland aus naheliegenden ideologischen Gründen nicht.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin.

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