© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/09 07. August 2009

Eine Serie von Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof / Teil 9
Die finale Verhandlungsrunde
In den letzten Augusttagen wurde zwischen London und Berlin unter Hochdruck vermittelt / Der Krieg war zum Greifen nah

Hitler war entschlossen, die offene Danzig-Frage, das Problem der Verkehrsanbindung Ostpreußens und den Minderheitenschutz für die Volksdeutschen in Polen noch vor dem Winter auf dem Verhandlungswege oder – wenn das nicht möglich war – mit Gewalt zu lösen. Die Generalität hatte ihn zwar mehrmals gewarnt, daß ein Krieg mit Polen auch Krieg mit Großbritannien, mit Frankreich und bei längerer Dauer auch mit den USA nach sich ziehen werde. Sie hatten aber auch beraten, daß militärische Operationen, falls es zum Kriege kommen sollte, aufgrund der Klima- und Wetterverhältnisse in Polen nicht nach dem 2. September begonnen werden dürften. Die Straßen- und Wegeverhältnisse würden für das Heer und das Flugwetter für die Luftwaffe danach in Osteuropa bald zu schwierig werden. So waren Hitlers Entscheidungen und sein Drängen nicht frei vom Einfluß dieses Datums.

Am 23. August 1939 war die Sensation der Morgenpresse die Nachricht von der Einladung des deutschen Außenministers nach Moskau. Damit war in Paris und London klar, daß die eigenen Verhandlungen in Moskau endgültig gescheitert waren. Der britische Premierminister Neville Chamberlain schrieb Hitler daraufhin unverzüglich einen Brief, in dem er vorschlug, die deutsch-polnischen Verhandlungen so lange auszusetzen, bis sich das Verhältnis beider Staaten abgekühlt und beruhigt hätte. Als zweites sprach er die Warnung aus, daß sein Land im Falle eines Krieges auf Polens Seite stehen würde. Da Deutschland bereits seit Oktober 1938 erfolglos mit Polen verhandelt hatte, schien Hitler ein weiteres Warten ohne Sinn. Am gleichen Tag noch antwortete er auf Chamberlains Brief, verwies dabei auf seine konzilianten Kompromißvorschläge gegenüber Polen vom Oktober 1938 und vom Januar 1939 und appellierte an Großbritannien und Frankreich, die in Versailles geschaffenen deutsch-polnischen Probleme selber aus der Welt zu schaffen. Damit war der Weg für eine Verständigungslösung unter der Regie der Siegermächte wieder offen.

Am 24. August meldete die Presse die nächste Überraschung: die Unterzeichnung des Nichtangriffspaktes zwischen der Sowjetunion und Deutschland. Die englische Regierung reagierte prompt. Sie unterzeichnete den polnisch-britischen Beistandsvertrag, der schon im März ausgehandelt worden war. Damit zerschlug sich fürs erste Hitlers Hoffnung, sein Vertrag mit der Sowjetunion könnte Großbritannien doch noch dazu bewegen, den Polen anzuraten, in der Danzig-Frage einzulenken. Nun schaltete die deutsche Seite den schwedischen Vermittler Dahlerus wieder ein. In den folgenden neun Tagen flog Dahlerus ein oder zweimal täglich zwischen Berlin und London hin und her, überbrachte die Noten Hitlers und Chamberlains und erläuterte den Empfängern, wo nach seiner Auffassung die Verhandlungsspielräume lägen und wo unverhandelbare Eckpunkte. Polen hatte sich derweil auf Englands Beistandspakt verlassen und war nicht mehr bereit, über Danzig zu verhandeln.

Am 25. August bat Hitler Chamberlain, zwischen Deutschland und Polen zu vermitteln. Er versuchte dabei zur gleichen Zeit, mit England zu einem Freundschaftsvertrag und einem dauerhaften Interessenausgleich zu gelangen. Nun ging es sieben Tage zwischen Berlin und London hin und her, zwischen Hoffnung und Verhärtung, und letzten Endes zwischen der Aussicht auf Frieden oder Krieg. Inzwischen waren die polnischen und die deutschen Streitkräfte fast vollständig aufmarschiert, und die polnisch-deutsche Grenze stand auch ohne Kriegseröffnung längst in Flammen. Es gab Zusammenstöße und Handstreichaktionen beider Seiten. Noch immer wurden deutsche Bauernhöfe auf der polnischen Seite der Grenze abgebrannt. Deutsche Stoßtrupps vergalten die Brandstiftungen in gleicher Nacht noch auf der Gegenseite. Auch der Flüchtlingsstrom hielt weiter an. Polnische Grenztruppen trieben deutsche Flüchtlingsgruppen mit Gewehr- und MG-Feuer von der Grenze weg. Deutsche Infanterie drang auf polnisches Gebiet vor und bemühte sich, die Flüchtenden dort freizukämpfen. Und polnische Flak versuchte ein paarmal, deutsche Passagierflugzeuge über der Ostsee abzuschießen.

In den folgenden vier Tagen sah es so aus, als wäre die britische Regierung bereit, zwischen Polen und Deutschland zu vermitteln, und Hitler gab im Gegenzug zu verstehen, daß er nach einer Verhandlungslösung zu Danzig, zur Passage durch den polnischen Korridor und für die deutsche Minderheit in Polen eine Garantie der fünf europäischen Großmächte für die Grenzen Polens mittragen würde.

Am 29. August kündigte Hitler der britischen Seite ein großzügiges Verhandlungsangebot an Polen für den nächsten Tag an, mit der Bitte, die Ankündigung unverzüglich nach Warschau weiterzuleiten. Er verband diese Botschaft allerdings mit dem Ultimatum, daß Polen bis zum 30. August um 24 Uhr eine zur Entgegennahme und zu Verhandlungen bevollmächtigte Person nach Berlin entsenden müßte.

Fortsetzung in der nächsten jf

Foto: Der britische Premier Neville Chamberlain, August 1939: Schock aus Moskau

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