© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/09 07. August 2009

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Leistungsprinzip
Karl Heinzen

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) beklagt, daß die meisten Kinder in Deutschland viel zu spät eingeschult werden. Die derzeit übliche Altersgrenze von sechs Jahren führe dazu, daß sich die Erstkläßler oft unterfordert sähen und sehr schnell die Freude am Lernen verlören. Abhilfe könnte eine stärkere Verschränkung von Kindergarten und Grundschule schaffen, etwa in Gestalt der „Bildungshäuser“, wie sie seit zwei Jahren in Baden-Württemberg als Modellversuch betrieben werden. In ihnen sind Drei- bis Zehnjährige vereint, um unter Anleitung von Erziehern und Lehrern zu spielen und zu lernen.

Der Aufschrei von Eltern- und Lehrerverbänden, der auf ihren Vorstoß folgte, zeigt, daß die Ministerin taktisch unklug vorgegangen ist. Offenbar meinte sie, für ihr Reformvorhaben am besten werben zu können, indem sie dessen Leidtragende als die eigentlichen Nutznießer ausgibt. Vorgeschobene Argumente wären hier aber gar nicht nötig gewesen. Die allermeisten der bei stagnierenden Realeinkommen zu immer längeren Wochen- und Lebensarbeitszeiten gezwungenen Bürger haben nicht nur Verständnis dafür, sondern geradezu das Bedürfnis, daß auch die Kinder endlich mehr in die Pflicht genommen werden. Eine wachsende Zahl von ihnen hat zudem keinen eigenen Nachwuchs, der vielleicht einen Mitleidseffekt hervorrufen könnte.

Schavan hätte also durchaus darauf hinweisen können, daß es sich bei der späten Einschulung um einen Mißstand handelt, unter dem gar nicht die betroffenen Kinder zu leiden haben, sondern die Wirtschaft und das ihr dienende Gemeinwesen insgesamt. Aufgrund der demographischen Entwicklung ist es unerläßlich, die Lebensarbeitszeit so stark wie möglich auszuweiten. Die Menschen müssen sich daher daran gewöhnen, später in Rente zu gehen und früher die Berufstätigkeit aufzunehmen.

Hinzu kommt aber auch ein erzieherischer Aspekt, dem Schavans Anregung gerecht wird: Eine Erwerbsgesellschaft wie die unsrige kann es sich schlichtweg nicht leisten, an antiquierten Kindheitsvorstellungen festzuhalten, in denen jungen Menschen Freiräume zugebilligt werden, die dem Leistungsprinzip entzogen sind. Damit wird nämlich der Stellenwert von Kindern in unserer Gesellschaft unterminiert, der sich letztendlich daraus ableitet, daß sie Arbeitnehmer und Steuerzahler von morgen sind. Alle Erwachsenen sind sich längst bewußt, daß die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen über ihren Erfolg mit entscheidet. Kinder sollten möglichst frühzeitig an diese Maxime herangeführt werden.

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