© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/09 07. August 2009

Das Versagen der Ökonomen
Weltfinanzkrise: Die neuesten Bücher zum Thema kommen für die Betroffenen leider zu spät
Wilhelm Hankel

Mit hochspekulativen Geschäftsmodellen in den Ruin gewirtschaftete Banken und Versicherungen, die auf Kosten des Steuerzahlers zwangsverstaatlicht werden, einst arrogante Auto- und Handelskonzerne, die nun bei Präsidenten und Regierungschefs um Steuermilliarden für ihr Überleben betteln, fallende Exporte und steigende Arbeitslosenzahlen – die globale Finanzkrise bringt das Thema Wirtschaft seit zwei Jahren auch in die Feuilletons der Tageszeitungen. Dort ist es zur Zeit auch sehr viel besser aufgehoben als in den regulären Wirtschaftsseiten der Fach- und Tagespresse. Denn Wirtschaft geht jeden an.

Und eine Gesellschaft, die über ihre Lebens- und Überlebensgrundlagen Bescheid weiß, schützt sich besser vor den Scharlatanen und den Märchenerzählern in Wirtschaft, Politik und Medien. Und deren gibt es genug. Schließlich zählt auch die Kultur zu den Krisenopfern. Denn geht es der Wirtschaft schlecht, bekommen es ihre „Leistungserbringer“, aber auch die Künstler wie die „Konsumenten“, also das breite Publikum, gleichermaßen leidvoll zu spüren.

Das ist auch jetzt wieder der Fall. Darum wäre es gut und nötig, wenn sich die seriöse Wissenschaft verstärkt dieser Aufklärungsarbeit annähme. Doch daran hapert es. Die Volkswirtschaftslehre – früher auch Nationalökonomie genannt – hat ein Problem, man könnte auch von einem Geburtsfehler sprechen, unter dem sie leidet. Denn obwohl sie dem „Volke“ dienen sollte, dient sie seiner „Herrschaft“.

Es sind die Mächtigen in Gesellschaft, Wirtschaft und Staat, die den Vertretern der Volkswirtschaftslehre zu Arbeit und Brot verhelfen. Die Ökonomie ist auch in Zeiten der Demokratie („Volksherrschaft“) in der Regel eine Höflingswissenschaft geblieben. Staat, Banken und die Spitzen der Wirtschaft halten und bezahlen ihre Hof-Ökonomen als Sachverständige, Berater und wo immer möglich auch als Sachaufklärer in den Medien. Der unabhängige – einem Abstraktum wie dem Gemeinwohl verpflichtete – Ökonom ist die Ausnahmeerscheinung, eine Rarität.

Das merkt man auch an der Berichterstattung über die Krise, der immerhin schwersten und ungewöhnlichsten seit 1929. Einerseits haben die bekannten Spitzenökonomen – von einigen Ausnahmen wie Max Otte (jf 41/06) oder Eberhard Hamer (jf 51/02) abgesehen – nicht vor dem Herannahen dieser Krise gewarnt. Und dies, obwohl sie sich seit Jahrzehnten ankündigte. Ihr Ausbruch hat alle Hof-Ökonomen überrascht. Andererseits interessieren sich diejenigen, die sich wenigstens jetzt als Aufklärer zu Worte melden, allzusehr für die Folgen der Krise und ihre eigenen Therapievorschläge. Jetzt, da das Kind im Brunnen liegt, erklären sie, warum  es so kommen mußte, und sagen einiges – aber nicht genug! – über die Schädiger, aber kaum etwas über die Geschädigten, die kleinen Sparer und Anleger, die existenzbedrohten und persönlich haftenden Mittelständler oder gar über die um Stelle und Einkommen bangenden Arbeitnehmer sowie die gesetzlichen oder Privatrentner. Sie beantworten beispielsweise nicht die Frage, was diese jetzt tun sollten und wie ihnen geholfen werden könnte. Und völlig zu kurz kommt die Politik, die jetzt zur Aufarbeitung der Schäden notwendig wäre.

Das gilt auch für drei Bücher zur Krise, die als unverkennbare Schnellschüsse den Markt bereichern. Der marxistischen Untertönen völlig unverdächtige Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, titelte „Kasino-Kapitalismus“ (jf 29/09). Der 2004 auf Empfehlung der Gewerkschaften zum „Wirtschaftsweisen“ der Bundesregierung berufene Peter Bofinger fragt: „Ist der Markt noch zu retten?“, und der Wirtschaftsjournalist Wolfgang Köhler warnt vor dem „Crash 2009“. Die Untertitel täuschen in allen drei Fällen ein Versprechen vor, das sie nicht einlösen. Sinn, der seit 2006 zugleich Präsident des International Institute of Public Finance (IIPF, Weltorganisation von 800 Finanzwissenschaftlern aus 50 Ländern) war, will (endlich) sagen, „wie es zur Finanzkrise kam, und was jetzt zu tun ist“, aber er beschränkt sich im wesentlichen auf Korrekturvorschläge zur Bankverfassung. Ihre grundlegende Revision interessiert ihn nicht.

Bofinger kritisiert, daß „ein Großteil der deutschen Ökonomen in den beiden letzten Jahrzehnten ihre ganze intellektuelle Energie darauf ausrichtete, sich gleichsam wie Kammerjäger daranzumachen, den Staat, wo immer es ging, aus dem Gebälk des Wirtschaftslebens zu verdrängen“. Mit dem „grandiosen Zusammenbruch der globalen Finanzmärkte“ sei nun „das intellektuelle Koordinatensystem der beiden letzten Jahrzehnte eingestürzt“. Er erläutert angesichts dessen, „warum wir jetzt einen starken Staat brauchen“.

Doch das Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung läßt offen, wie mehr Staatskontrolle in der Wirtschaft funktionieren kann und soll – und wie dies sich auf die jetzt drohenden Probleme (Inflationsgefahren, Verteuerung des Staats- und Privatkredits) auswirken wird.

Köhler versucht auch zu beschreiben, „wie es dazu kommen konnte“, und verspricht dem Leser zugleich Rezepte, „wie Sie jetzt Ihr Geld anlegen sollten“. Doch seine „Zehn Gebote“ fallen blasser und nichtssagender aus als die seines Vorgängers Moses. Wer auch immer für die das Publikum ködernden Untertitel verantwortlich ist: Autor oder Verlag – der Leser, der jetzt wissen will, wie es mit der Krise weitergeht und wie er sich verhalten soll, erfährt nicht allzuviel.

Wenn speziell die beiden ersten Autoren ihr jetzt offenbartes Wissen früher in den Gehörgang der von ihnen Beratenen gegeben oder dem interessierten Publikum mitgeteilt hätten (schließlich waren alle drei maßgebliche Berater und Medienlieblinge oder sind es immer noch), dann hätten Politik, Öffentlichkeit und die Masse der Krisengeschädigten wesentlich mehr davon gehabt. Der Gesellschaft wäre die schwere Belastungsprobe, die ihr nun unweigerlich bevorsteht, erspart geblieben.

Die eklatanten Defizite des Finanzsystems, die sie jetzt so kundig analysieren und voll verhaltenen sozialen Zorns auch beklagen, wären früher aufgedeckt worden. Sie alle hätten dazu beitragen können. Das Buch, das dem Bürger die Gesellschaft nach der gigantischen Weltwirtschaftskrise schildert, ist aber immer noch zu schreiben.

Peter Bofinger: Ist der Markt noch zu retten? Warum wir jetzt einen starken Staat brauchen. Econ Verlag, Berlin 2009, gebunden, 192 Seiten, 19,90 Euro

Wolfgang Köhler: Crash 2009 – Die neue Weltwirtschaftskrise. Wie es dazu kommen konnte und wie Sie jetzt Ihr Geld anlegen sollten. Mankau Verlag, Murnau 2009, broschiert, 200 Seiten, 12,95 Euro

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