© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/09 07. August 2009

Kernenergie als Wahlkampfschlager
Energiepolitik: Im Wettstreit zwischen Sozialdemokraten und Grünen um den Spitzenplatz unter den Anti-Atomparteien hat die SPD die Nase vorn
Tobias Westphal

Das Bundesumweltministerium hat keine Einwände gegen das Wiederanfahren des Atomkraftwerks Emsland in Lingen, denn die Anlage sei in einem nachvollziehbaren Verfahren von Sachverständigen und Beamten der Aufsichtsbehörde überprüft worden. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) muß es schwergefallen sein, über sein Ministerium diese Meldung verbreiten zu lassen. Immerhin befinden sich die Parteien im Wahlkampf.

Begonnen hatte alles mit einer Betriebsstörung bei dem Atomkraftwerk Krümmel bei Geesthacht (Betreiber Vattenfall), das am 4. Juli nach einem Kurzschluß in einem Transformator abgeschaltet wurde. Am gleichen Tag wurde ein Block in Philippsburg bei Karlsruhe (Betreiber EnBW) vom Netz genommen, um einen Fehler zu suchen.

Von da an begann die Wahlkampfmaschinerie zu laufen; Gabriel drohte mit dem Entzug der atomrechtlichen Betriebserlaubnis, obwohl nur eine Betriebsstörung der niedrigsten Kategorie vorlag und diese Maßnahme eine Ultima ratio darstellt, die rechtlich nahezu aussichtslos ist.

Gebetsmühlenartig hatte Gabriel danach wieder begonnen, den Satz von „dem Störfall als Normalfall“ zu wiederholen. Richtiger wäre gewesen, wenn er den richtigen Terminus „Betriebsstörung“ verwendet – aber das klingt nicht erschreckend genug. Denn es gibt zahlreiche Stufen einer Panne in einem Atomkraftwerk. Betriebsstörungen, die nicht weiter erwähnenswert sind, gab es schon Tausende, Störungen im eigentlichen Sinn – wie von Atomkraftgegnern gerne genannt – gab es jedoch bisher in Deutschland nur drei.

SPD und Grüne versuchen nun, sich als die Anti-Atomkraftpartei zu positionieren und möglichst viele Stimmen der Atomkraftgegner auf sich zu vereinen. Deswegen beeilte sich unter anderem Grünen-Fraktionschefin Renate Künast – genauso wie Gabriel –, die Verbraucher aufzufordern, sich neue Stromanbieter zu suchen, offenbar auch mit Erfolg.

Die Führungsposition als Anti-Atompartei hält derzeit die SPD. Gabriel besuchte unverzüglich Tschernobyl, auch um Wahlkampf zu machen. Dies stellte Gabriel vor Ort mit einer rhetorischen Frage klar: „Wozu gibt’s Wahlkämpfe, wenn nicht um klarzumachen, wo der Unterschied zwischen der einen und der anderen Partei liegt.“ Gegenspielerinnen von Gabriel auf seiten der Union sind Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) und die Bundeskanzlerin, die sich als CO2-Kanzlerin durch den Besuch schmelzender Eisberge einen Namen gemacht hatte. Schavan warnte vor einer Dämonisierung der Atomkraft, Merkel sieht die Nuklearenergie sowohl zum Export als auch als Brückenenergie auf absehbare Zeit als unverzichtbar an. CSU-Landesgruppenchef Ramsauer prangerte den Umweltminister an, er schüre Angst: „Herr Gabriel instrumentalisiert jeden kleinen Fehler in einem Kernkraftwerk für den Wahlkampf.“

Die Union setzt im Bundestagswahlkampf in der Energiepolitik auf Atom sowie auf erneuerbare Energien. Für Merkel stellt die Kernenergie eine sogenannte Brückentechnologie dar, auf die nicht verzichtet werden kann. Einen Neubau von Atommeilern lehnt auch die Union ab. Die SPD hält dagegen daran fest, spätestens bis 2021 das letzte deutsche Atomkraftwerk abzuschalten.

Um umweltpolitisch im Gespräch zu bleiben, bemühte sich Gabriel – zwei Monate vor der Bundestagswahl –, möglichst zahlreiche atompolitische Vorschläge zu unterbreiten: sofortige Abschaltung des Atomkraftwerkes Krümmel und der sieben „ältesten“ Atomkraftwerke, Bündelung der Atomaufsicht in Bundeshand und Verschärfung der Sicherheitsstandards sowie die Einführung einer Steuer auf Brennelemente.

Das gleiche möchten die Grünen zwar auch, konnten sich aber noch nicht vergleichbar in Szene setzen. Das soll sich jedoch im Wahlkampfendspurt ändern. Die Grünen möchten weiter die Umweltpartei schlechthin sein und machen dies auch an ihren Zielen fest: Klimaschutz soll als Staatsziel im Grundgesetz festgehalten werden. Bis 2040 soll alle Energie aus erneuerbaren Energien bezogen werden. Wie die SPD fordern auch die Grünen, alle „alten“ Reaktoren vorzeitig abzuschalten, den Atomausstieg weiter fortzuführen und eine Steuer auf Brennelemente einzuführen. Die Lkw-Maut soll erhöht und der Kauf von Elektroautos staatlich subventioniert werden.

Die Sozialdemokraten werden im Wahlkampf jedoch gegenüber den Grünen weiter die Nase vorn haben, was die Umwelt- beziehungsweise Atompolitik betrifft. Denn der Umweltminister nutzt schamlos die Internetseite seines Ministeriums, um parteipolitischen Wahlkampf zu machen: „Atom-Ideologie macht blind für die Realität“.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen