© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/09 17. Juli 2009
Hedonistische Internationale: Harter politischer Kampf als
poppiges Ereignis In den achtziger Jahren war alles noch einfach: Reagan oder Strauß waren die Bösen; diejenigen, die für Frieden und gegen Atomkraft demonstrierten, die Guten, und entsprechend langweilig wurden irgendwann die biedersinnig-engagierten Latschdemos, wie sie der Protestforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin nennt. Seitdem aber der Staat die Bürger selbst dazu aufruft, durch Demonstrationen Gesicht zu zeigen, seit es sogar in der CDU nur noch Gute gibt und die USA ihren Obama haben, hat sich die klassische Demonstrationskultur im wahrsten Sinne des Wortes totgelaufen und wurde durch allerlei mehr oder weniger neue, tatsächliche oder vermeintliche, Protestformen ersetzt. Neben den zwar nicht staatstragenden, aber gesellschaftsformierenden Pseudo-Demonstrationen der Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Bündnisse gegen Rechts haben sich einerseits die gewalttätigen linksextremen Ausschreitungen etabliert (die gelegentlich von Rechtsextremisten bis hin zum schwarz vermummten äußeren Erscheinungsbild kopiert werden); andererseits zeigen sich besonders seit den G8-Krawallen von 2007 alternative Protestformen, wie sie etwa von der Hedonistischen Internationale (hedonist-international.org) organisiert werden. Wie der Name erahnen läßt, geht es den lose vernetzten internationalen Gruppen, die ihren lokalen Schwerpunkt in Berlin haben, vor allem um Spaß, Genuß, selbstbestimmtes Leben, Toleranz, ein kosmopolitisches Dasein, und ihr an das Gesetz Tu, was Du willst aus dem Liber Al vel Legis des Okkultisten (und Satanisten) Aleister Crowley angelehntes Motto lautet entsprechend Do what you want. Natürlich sind weder diese Inhalte originell, bieten sie doch lediglich einen Mix aus linken, emanzipatorischen Parolen und medialer Event-Kultur, noch die Aktionsformen, in denen sich Elemente der unpolitischen Love Parade (etwa die musische Beschallung von Lastwagen herab) oder des Christopher Street Day mit solchen aus dem Repertoire der Spontis der siebziger Jahre, der Situationisten oder der Kommunikationsguerilla verbinden, sondern neu ist die Vermischung und spielerische Einebnung aller Fronten, die dabei betrieben wird; schließlich ist der Staat genauso gegen Rechts wie die Hedonisten, die nackt tanzend eine Nazi-Kneipe stürmen, einen Thor-Steinar-Laden belagern oder als Clowns beim Anti-Islamisierungskongreß von Pro Köln Polizisten umzingeln oder das stillgelegte Tempelhofer Flugfeld besetzen wollen süffisant titelte die linke taz: Polizei schützt Wiese vor Clowns. Aber hißt die Polizei nicht mancherorts selbst die Regenbogenfahne der Schwulenbewegung (JF 14/09)? Schließlich wird in den Shopping-Centern oder der Berliner O2-Arena, gegen die sich ebenfalls Aktionen der Hedonistischen Internationale richteten, die gleiche Spaß- und Konsumkultur propagiert. Welcher grundlegende Unterschied besteht letztlich zwischen den gutmenschlichen Staatsdemos, bei denen ein Konstantin Wecker auftritt, und den bestmenschlichen Antistaatsdemos mit Techno-Musik? Wenn nur der Staat im allgemeinen oder ein paar standardisierte Bösewichter (denen das Demonstrieren dagegen reichlich schwer gemacht wird) als Gegner gelten, wird jeder politische Kampf zum poppigen Event. Die totale Demokratie demonstriert nur noch gegen sich selbst, niemals aber gegen solche Gegner, die etwa aus religiösen Gründen keinen Spaß verstehen. Letztlich ist mit dem Spaßdemo-Aktivismus somit nur der stillschweigende Konsens, der hinter den ritualisierten Schein-Auseinandersetzungen in den Parlamenten und Talkshows steht, auf der Straße angekommen. Gegen diesen richtet sich, freilich auf der anderen Seite des politischen Spektrums, die Konservativ-Subversive Aktion (KSA), deren bislang medienwirksamste Aktion die Störung einer Lesung von Günter Grass im Hamburger Thalia-Theater im vergangenen Jahr gewesen ist. Wie die anarchisch-nonkonforme Linke knüpft auch die etatistisch-nonkonforme Neue Rechte an die Sponti-Bewegung an, beide inszenieren kontrollierte (gewaltfreie) Provokationen mit ästhetischem Anspruch und werden von den jeweiligen Orthodoxien kritisiert, Politik lediglich zu simulieren. Der Unterschied besteht jedoch darin, daß die Spaßguerilleros einen globalen Humanismus fordern, die Politischen Existentialisten das selbstreferentielle Palaver der Medien- und Spaßgesellschaft hingegen beenden wollen und eine neue Ernsthaftigkeit der politischen Kultur verlangen. |