© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/09 17. Juli 2009

Götterbote
Politische Zeichenlehre LXXVIII: Flügelhelm
Karlheinz Weissmann

Wahrscheinlich hat sich kaum jemand vorstellen können, daß das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald je wieder zu solchen Ehren kommen würde. Aber anläßlich der Erinnerung an den germanischen Sieg über die Römer im Jahr 9 n. Chr. findet man auf T-Shirts und Buchumschlägen, Zeitschriftencovern oder Aufklebern immer wieder Abbildungen des Monuments. Besonderer Beliebtheit erfreut sich dabei der Kopf mit dem imposanten Flügelhelm.

Um es gleich zu sagen: Arminius/Hermann hat keinen solchen Helm getragen, aber die Vorstellung von einer mit Vogelflügeln geschmückten militärischen Kopfbedeckung der barbarischen Vorfahren hat sich früh festgesetzt. Es gibt jedenfalls Illustrationen aus der Zeit des Barockpatriotismus im 17. Jahrhundert, die schon Germanen mit Flügelhelmen zeigten. Vielleicht spielte dabei neben Kenntnismangel, den die Phantasie ausgleichen mußte, auch die Erinnerung an die Helmzierden der Ritter eine Rolle, die oft einen „Flug“ zeigten. So wie man im Mittelalter auch Hörner als Helmschmuck kannte, wenngleich die Vorstellung, daß Germanen und vor allem Wikinger Hörnerhelme besaßen, ebenso irrig war wie die Idee mit den Flügelhelmen. Allerdings ist dieser Fehler nachvollziehbarer, da man in Skandinavien Funde gemacht hatte, die diesen Irrtum nahelegten, da sie niemand richtig – auf die Bronzezeit – zu datieren wußte.

Die Darstellung von Germanen mit Flügelschmuck am Helm hielt sich bis ins 20. Jahrhundert, wenngleich sie im Laufe der Zeit immer weiter zurücktrat. Das hatte einmal mit den Fortschritten der Archäologie zu tun, aber vor allem mit einer erfolgreichen Okkupation dieses Kopfschmucks durch die französische Geschichtspolitik.

So wie die Germanen für die Deutschen, spielten die Kelten beziehungsweise Gallier für die Franzosen eine identitätsstiftende Rolle, und seit dem 19. Jahrhundert wurde der Flügelhelm ein wichtiges Symbol des „Keltizismus“. Was im „Germanismus“ Hermann, das war im „Keltizismus“ Vercingetorix, den man regelmäßig mit dem Flügelhelm dargestellt findet. Was genau diese Übernahme veranlaßte, ist heute so wenig zu klären wie im germanischen Fall. Eine Ursache mag die Nachricht Cäsars gewesen sein, daß die Gallier dem Merkur die höchste Verehrung entgegenbrachten; Merkur/Hermes wurde in der römischen beziehungsweise griechischen Ikonographie als Götterbote immer mit einem Flügelhelm (und Flügelschuhen) dargestellt. Aber gesichert ist dieser Zusammenhang nicht.

In jedem Fall verbreiteten sich in Frankreich (und Belgien) zahlreiche und häufig reproduzierte Historienbilder, die Kelten mit dem Flügelhelm zeigten. Dadurch wurde dieses Attribut allgemeiner bekannt und ausgesprochen populär, was unter anderem die Entscheidung erklärt, 1910 als Signet der französischen Zigarettenmarke Gauloises – „Die Gallierinnen“ einen Flügelhelm einzuführen.

Zum politischen Symbol im engeren Sinn stieg der Flügelhelm dagegen erst in der Zwischenkriegszeit auf, als einige nationalistische Bewegungen Frankreichs ihn zum Ausdruck eines betont „völkischen“ Selbstbewußtseins machten. So verwendete ihn die Gruppe Jeunesses Patriotes, ein 1924 gegründeter, mehrere zehntausend Mitglieder umfassender Jugend- und Wehrbund, der sich in den dreißiger Jahren radikalisierte, einen zunehmend „faschistischen“ Charakter annahm und ab 1940 zu den Trägerorganisationen des Regimes von Vichy zählte. In diesen Kreis gehörte auch die Légion française des combattants, die den Flügelhelm vor den Farben der Trikolore als Abzeichen benutzte; die Légion war ursprünglich nur ein Veteranenverband, bildete aber mit ihrem „Ordnungsdienst“ eine bewaffnete Gruppe, die später in die SS-artige Milice überging.

Wegen der Verbindung mit der Kollaboration tauchte der Flügelhelm nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch ausnahmsweise in der politischen Symbolik auf, etwa in der Propaganda des Front National. In der populären Vorstellung vom Aussehen der antiken Kelten blieb die Vorstellung aber ungebrochen, was sich nicht zuletzt an der Darstellung im außerordentlich verbreiteten Comic Asterix zeigt, dessen Verfasser René Goscinny und Albert Uderzo sonst sehr viel Wert auf historische Authentizität legten, aber in bezug auf den Flügelhelm nicht mit dem volkstümlichen Irrtum brechen wollten. Die Goten zeichnete Uderzo übrigens immer mit gehörntem Wehrmachtshelm.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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