© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/09 17. Juli 2009

Pankraz,
Joseph Nye und die Macht aus der Gitarre

Globalstrategen und Großpolitikberater in den USA wie Joseph Nye haben sich mittlerweile mit der Tatsache abgefunden, daß die Tage des sogenannten „Unilateralismus“, d. h. der drückenden politischen Vorherrschaft der USA als „einziger verbliebener Supermacht“, vorbei sind. Die ökonomischen und militär-strategischen Daten sprechen eine eindeutige Sprache.

Aber, so tröstete sich Nye schon in seinem Buch „Soft Power“ von 2004, wir haben ja noch die „sanfte Macht“, und die werden wir auch behalten. Amerikanisches Englisch ist Weltsprache, „lingua franca“, die überall in der Welt als solche anerkannt wird. Unsere Eliteuniversitäten von der „Efeu-Liga“ sind und bleiben das Sehnsuchtsziel aller guten Wissenschaftler. Unsere Popkultur inklusive der populären Internetportale fasziniert und beschäftigt die Jungen in aller Welt, wo immer sie leben. Sie ist Kernstück und Motor der globalisierten Massenkultur und walzt eventuell alles nieder, was sich ihr in den Weg stellen will.

Indes, sind das wirklich Tröstungen? Ist zum Beispiel derjenige wirklich mächtiger als andere, dessen Muttersprache „Weltsprache“ ist? Gerät er nicht vielmehr in ganz neuartige, höchst fatale Zwänge, wie man sie anderswo nicht kennt? Die Reichweite der Verständigung, die ihm gewissermaßen in den Schoß fällt, muß ja bezahlt werden mit Präzisionsverlust der spontan zuhandenen Wörter, die Muttersprache wird ausgekühlt und fremdbestimmt und eignet sich bald nicht mehr für etymologisch anspruchsvolle Exkursionen.

So erging es schon einmal einer „lingua franca“, nämlich dem Latein im Mittelalter. Es wurde unterm Andrang der Banalitäten zum „Küchenlatein“, welches nur noch für Alltagsgespräche in Küche, Keller und elementarer Paukschule taugte. Die Menge der Neubildungen wurde begleitet vom Sterilwerden der grammatischen Struktur, die Wurzeln der Sprache trockneten aus, die Poeten und Essayisten wanden sich ab mit Grausen. Ob bei Dante in Italien, bei Chaucer in England oder bei Meister Eckardt in Deutschland – überall erblühten die Nationalsprachen, wurden literatur- und philosophietauglich und trieben das Lateinische ins Archiv.

Viele Wissenschaftler wanderten damals aus den alten Universitäten aus, was etwa Köln  nicht überlebte und Bologna an den Rand des Verschwindens brachte. Ähnlich könnte es bald auch dieser und jener Elite-Universität der Efeu-Liga ergehen. Manche wirken schon heute wie Institute, in denen nur noch Küchenlatein gesprochen wird. Ihre Forschungen sind in erschreckender Weise von Bedürfnissen und Aufträgen des Militärs und der Finanzwelt abhängig. Ihre Pressestellen gleichen immer mehr bloßen Rating-Agenturen, deren Bestimmung es ist, banale Selbstverständlichkeiten zum Zwecke der Geldeintreibung  zu Sternstunden der Wissenschaft hochzudonnern.

Macht kann man mit derlei Methoden nicht mehr gewinnen, sie sind allzu „soft“, leicht durchschaubar als Abart jener Betrugsmanöver, die bereits auf dem Felde der Finanzwirtschaft hinreichend Unheil angerichtet haben: Immobilienkrise, Bankenzusammenbrüche, Insolvenzen sonder Zahl. Bleibt also als einziges Plus im Soft-Power-Imperium des Joseph Nye die Popkultur, die „Macht aus den Gitarrenhälsen“, wie man vielleicht sagen könnte, die Gitarre zum großen Symbol der ganzen Richtung erhebend.

Diese Macht aus den Gitarrenhälsen ist tatsächlich gewaltig, und sie ist, wie Nye mit Recht festhält, unbestreitbar amerikanisch. Sämtliche Moden, Neuerungen und „Codes“ der Popkultur, ob nun Melodien, Redensarten oder Verhaltensweisen, kommen von drüben und tragen unverkennbar das Signum des „American way of life“. Ihre Grundtendenz zielt auf Gleichmacherei und Schlipselockern, auf Massengeschmack und hysterisches „Medien-Event“; zu Hauptfeinden erklärt werden regionale kulturelle Traditionen und asketische Sezessionen.

Let it be“, lautet die Generalanweisung, laß es heraus und schäme dich seiner nicht! Die Globalität, Anonymität und leichte Be-dienbarkeit moderner digitaler Kommunikationstechnik sorgt dafür, daß die Botschaft überall und sofort voll rüberkommt, und sie findet bei den Massen in aller Welt natürlich ungeheuren Anklang, besonders bei der Durchschnittsjugend, welche den Erziehungsprozeß, in dem sie notwendigerweise steht, nur allzu leicht als pures Zwangsregime und schlimme Zumutung empfindet.

Pankraz behauptet nicht, daß sich der „American way of life“ in solcher Schlipselockerei und habitueller Verkindlichung à la Michael Jackson erschöpft oder auch nur realistisch abbildet. Jedes Volk hat seine Mythen und seine Urgesten, und es kommt immer darauf an, was es im Lauf seiner Geschichte aus ihnen macht und wie es sie ins allgemeine Konzert der Kulturen einbringt. Einzig wichtig ist letzten Endes, daß aus den Gitarrenhälsen nicht unversehens Maschinengewehre werden, rabiate Machtinstrumente, welche ungeniert ins politische Spiel eingebaut und für die Durchsetzung  ökonomischer oder militärischer Interessen benutzt werden.

Wer wie Joseph Nye in Ansehung der Popkultur gleich von „Power“ spricht, wenn auch nur von „Soft Power“, verwischt die Grenzen zwischen Sphären, die reinlicherweise voneinander getrennt gehalten werden sollten. „Rußland“, jubelt Herr Nye, „hat nur schwache Soft Power, wenn überhaupt eine. Seine Kultur strahlt im Gegensatz zu unserer kaum auf die Welt aus, schon gar nicht auf die Jugend der Welt. Das gibt uns Grund, an der Idee von der amerikanischen Unilateralität festzuhalten“.

Dagegen wäre zu bedenken: Was kulturell ausstrahlt, kurzfristig und vor allem langfristig, darüber entscheiden nicht die Politiker und schon gar nicht die Politikberater. Politischer Einfluß und kultureller Einfluß gehen nicht Hand in Hand, meistens widersprechen sie sich sogar. Rom siegte einst total über Griechenland, politisch war dieses erledigt. Aber sein kultureller Einfluß entfaltete sich erst jetzt zu voller Blüte.