© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/09 17. Juli 2009

Ansehnliche Geschäfte für die Taliban
Rauschgift-Eldorado Afghanistan: Die uneinheitliche Strategie der Alliierten erschwert die Drogenbekämpfung am Hindukusch
Michael Wiesberg

Mehr als verstimmt zeigte sich nach der Honlea-Konferenz, die am 18. Juni in Wien zu Ende ging, der Vizechef des russischen Föderalen Dienstes für Drogenkontrolle, Wladimir Kalenda. Honlea vereinigt jene Länder, die die Einhaltung der Gesetze zur Verhinderung des illegalen Drogenhandels kontrollieren. In Afghanistan würden, so Kalenda, doppelt so viele Drogen angebaut, wie auf der Welt konsumiert würden. Allein in Rußland stürben an den Folgen des Drogenkonsums jährlich mehr als 30.000 Personen. Jedes neunte Verbrechen in Rußland hänge mittlerweile mit dem Drogenkonsum zusammen.

Scharf kritisierte Kalenda, daß sich die USA und die ISAF-Verbündeten zwar um die Organisation der Drogenbekämpfung in Afghanistan kümmerten, die Verantwortung dafür aber der afghanischen Polizei aufbürdeten. Kalenda darf sich durch den gerade erschienenen „Weltdrogenbericht 2009“ (WDB 2009) bestätigt sehen, der für die Russische Förderation cirka 1,7 Millionen Opiatekonsumenten annimmt, was um die 1,6 Prozent der Bevölkerung entspricht.

Durch das Lager der von Kalenda Kritisierten geht derzeit ein Bruch, wie die Bekämpfung des Drogenanbaus und des Drogenhandels effektiv zu handhaben sei. Der US-Nato-Oberbefehlshaber in Afghanistan, John Craddock, hat vor kurzem vorgeschlagen, Opiumhändler auch dann töten zu lassen, wenn bei ihnen kein direkter Hinweis auf eine Verbindung zu den Taliban vorläge. Ab sofort müsse offensiv auf „alle Drogenhändler und deren Einrichtungen“ Jagd gemacht werden. Das Betreiben von „Geheimdienst-Aufklärung“ sei nicht länger nötig.

Massiver Widerstand gegen diesen Plan Craddocks kam unter anderem von deutscher Seite in Gestalt von Egon Ramms, Kommandeur der Allied Joint Force im niederländischen Brunssum (JFC Brunssum), der Verstöße gegen Einsatzregeln und internationales Recht geltend machte. Dieser Streit ist exemplarisch für die uneinheitliche Strategie der Drogenbekämpfung am Hindukusch. Dafür steht auch der Beschluß der Nato-Verteidigungsminister, die Mitgliedstaaten in der Afghanistan-Schutztruppe ISAF seien frei in der Entscheidung, ob ihre Soldaten an dem verschärften Kampf gegen den Opiumanbau respektive gegen die Opiumherstellung teilnehmen.

 „Die ISAF kann in Zusammenarbeit mit den Afghanen gegen Einrichtungen und Personen, die den Aufstand unterstützen, vorgehen, sofern die Zustimmung der betreffenden Nationen vorliegt“, kommentierte Nato-Sprecher James Appathurai. Die Intensivierung der Drogenbekämpfung soll in „Prioritätsgebieten“ erfolgen. Dies bedeute, daß vor allem im Süden, der von den Taliban infiltriert ist oder sogar teilweise kontrolliert wird und wo besonders stark Schlafmohn angebaut wird, mit Aktionen zu rechnen ist.

Insbesondere die südliche Provinz Helmand kann als Hauptanbaugebiet gelten, hier werden auf etwa 100.000 Hektar Mohnpflanzen angebaut. Deshalb kommt die hier gerade gestartete US-Offensive „Khanjar“ (deutsch: Krummdolch) nicht überraschend; sie zielt direkt auf eine Haupteinnahmequelle der Taliban und dürfte erheblichen Widerstand auslösen.

Ob diese Offensive allerdings ausreicht, um die Taliban zurückzudrängen und ihnen eine wichtige Einkommensquelle zu nehmen, muß abgewartet werden. Hunderte Millionen Dollar pro Jahr bringt das Drogengeschäft den Taliban jährlich ein; eine ansehnliche Summe, die erklärt, warum deren militärische Möglichkeiten Jahr für Jahr weiter anwachsen.

Selbst der Rückgang der Anbauflächen um gut ein Fünftel, so der WDB 2009 der UNO, wirkte sich nicht sonderlich auf die Produktion von Opium in Afghanistan aus, das nach wie vor, vor allem der Süden des Landes, die Quelle von knapp 93 Prozent des weltweit produzierten Rohopiums ist.

Die „Erfolgsmeldung“ vom Rückgang der Anbauflächen relativiert sich aber noch aus einem anderen Grund: Die Opiumernte von 7.700 Tonnnen im Jahr 2008 bedeutet zwar einen Rückgang um gut 500 Tonnen gegenüber 2007, ist aber dennoch die zweithöchste seit 1994. Antonio Mario Costa hat deshalb die US-Drogenpolitik am Hindukusch nicht ohne Grund als „traurigen Witz“ bezeichnet. „Traurig deshalb, weil viele afghanische Polizisten und Soldaten getötet und nur etwa 5.000 Hektar zerstört wurden.“ Ob hier der grundlegende Kurswechsel, den die USA in der Drogenpolitik in Afghanistan angekündigt haben, mehr Erfolg zeitigen wird, bleibt abzuwarten.

 Die USA wollen künftig nicht mehr auf die Vernichtung der Mohnernte setzen, sondern das Rauschgift und zu dessen Herstellung notwendige Chemikalien abfangen, erklärte jüngst der Afghanistan- und Pakistanbeauftragte Richard Holbrooke. Zudem wolle man verstärkt gegen die Drogenkartelle vorgehen.

Zu den Mythen des Opiumanbaus in Afghanistan gehört der immer genannte Hinweis, den Taliban sei es unter ihrer Herrschaft gelungen, den Opiumanbau weitgehend einzudämmen. Selbst das US-Außenministerium konstatierte im März 2002, die Taliban seien „bemerkenswert erfolgreich“ im Kampf gegen den Opiumanbau. Skeptiker hingegen verwiesen darauf, daß Taliban-Führer Mullah Omar aus taktischen Gründen – er wollte die internationale Anerkennung der Taliban-Regierung erreichen – diese Maßnahme nur aufgrund großer Opiumreserven ergriff, um den Preis nach oben zu treiben. Andere verwiesen darauf, daß Afghanistan der größte Opiumlieferant der Welt geblieben sei, und zwar aufgrund des fortgesetzten Anbaus in den nördlichen Provinzen.

Wie berechtigt diese Skepsis ist, zeigt eine Einlassung von Abdul Raschid, unter den Taliban Chef der Anti-Drogen-Kontrolle der Taliban in Kandahar, der in einem Interview mit dem pakistanischen Journalisten Ahmed Raschid erklärte: „Wir lassen die Bauern Mohn anbauen, weil sie dafür gute Preise erzielen. Wir können die Leute unmöglich zu Weizen zwingen, da es sonst einen Aufstand gegen die Taliban gäbe. Also lassen wir weiterhin Opium zu und beziehen unseren Weizen aus Pakistan.“ Ein Verzicht auf den Anbau war den Taliban nicht möglich, was unter anderem die Erhebung der islamischen Steuer „Zakat“ zeigte, die alle Opiumhändler zu entrichten hatten; diese konnte sich, so Ahmed Raschid, auf bis zu 20 Prozent des Wertes einer LKW-Ladung Opium belaufen.

Die „Weltdrogenberichte“ der zurückliegenden Jahre zeigen, daß mit der Zurückdrängung der Taliban durch die von den USA angeführte Koalition der Opiumanbau von den Bauern in großem Rahmen wiederaufgenommen wurde. Bereits am 17. Januar 2002 sah sich Afghanistans neuer Führer Hamid Karzai gezwungen, ein neues Verbot des Opiumanbaus auszusprechen, das mit entsprechenden Gegenleistungen „versüßt“ werden sollte. Dieses Verbot hat wenig überraschend nichts bewirkt. Im Gegenteil: Von diesem Zeitpunkt an wurde in Afghanistan eine Opium-Rekordernte nach der anderen erzielt.

Mehr als einmal wurde deshalb die Regierung Karzai in Kabul vom Westen aufgefordert, dafür zu sorgen, daß den Bauern eine legale und „nachhaltige Lebensweise“ ermöglicht wird. Gefruchtet hat das alles nicht. Zwar bekommen die afghanischen Bauern nur einen geringen Anteil jenes Gewinns, den das Rohopium abwirft, dieser ist aber dennoch so hoch, daß Rohopium auf absehbare Zeit das lukrativste Agrarprodukt in Afghanistan bleiben dürfte – auch weil der Schlafmohn leichter und weniger aufwendig als Weizen anzubauen ist.

Überdies ist ein Teil der in den Opiumanbau involvierten Afghanen, das berichtet Moises Naim in seinem „Schwarzbuch des globalisierten Verbrechens“ (München 2006), mittlerweile dazu übergegangen, Labore zu errichten, in denen das Rohopium in höherwertige Narkotika umgewandelt wird, was zu einer Steigerung des Gesamtgewinns geführt hat. Die höchste Anzahl opiumverarbeitender Labore befindet sich im übrigen in der Russischen Föderation, nämlich 547. Gleiches gilt für Heroin-Labore, die der WDB 2009 für die Russische Förderation mit 187 angibt. Demgegenüber nehmen sich die 57 identifizierten Heroin-Labore in Afghanistan eher „bescheiden“ aus.

Fast zehn Prozent der Afghanen haben 2008 mit dem Drogenbau und der Weiterverarbeitung von Opium zu tun gehabt. Man kann sich bei den hierbei erzielten Summen in etwa ausrechnen, wie schnell Polizisten, die laut einem Bericht der Washington Post umgerechnet gerade einmal 30 Dollar im Monat verdienen, gegen ein entsprechendes Bestechungsgeld bereit sind, wegzuschauen.

Die Länder, die am meisten vom Handel mit Opiaten betroffen sind, sind Pakistan und, das mag überraschen, der Iran, für den zwischen 700.000 und 1,6 Millionen Drogenkonsumenten geschätzt werden. 2007 wurden für den Iran 84 Prozent (!) des weltweit beschlagnahmten Opiumvolumens ausgewiesen und 28 Prozent des gesamten Heroins. Mit anderen Worten: Der Großteil der in Afghanistan produzierten Opiate ist für den Konsum in den Nachbarländern bestimmt, insbesondere für Pakistan, den Iran, die zentralasiatischen Staaten und in geringerem Maße für Indien. Das hat laut WDB 2009 einen einfachen Grund: Diese Märkte mit ihren geschätzten fünf Millionen Drogenkonsumenten sind viel größer als die west- oder zentraleuropäischen Märkte mit ihren 1,4 Millionen Drogenkonsumenten.

Der Haupttransport nach West- und Zentraleuropa erfolgt immer noch auf der bekannten Balkanroute. Ein Großteil der hier transportierten Opiate stammt aus Afghanistan. Eine Art Drehscheibenfunktion für afghanisches Heroin und Opiateprodukte kommt in diesem Zusammenhang der Türkei zu: Über die Ost-Türkei in Richtung Istanbul gelangen die Drogen über Bulgarien, Rumänien oder Serbien nach Westeuropa. Eine andere Route läuft von Bulgarien über Mazedonien. Albanien dient als Drehscheibe für die Verschiffung von Heroin nach Italien, wo es entweder für den dortigen Markt aufbereitet oder nach Deutschland weitergeschmuggelt wird. Drehscheibe für den Heroinschmuggel nach Deutschland bleiben aber die Niederlande, über die 78 Prozent des in Deutschland konsumierten Heroins geschmuggelt werden.

 

Stichwort: Weltdrogenbericht

Der „Weltdrogenbericht“ (bis 2003 unter dem Namen „Global Illicit Drug Trends“ firmierend) erscheint seit dem Jahr 1999 und wird jährlich von dem Büro für Drogenkontrolle und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen UNODC (www.unodc.org) herausgegeben. Hauptarbeitsgebiete des UNODC sind „umfassende“ und „ausgewogene“ Analyse- und Forschungsarbeit zu Drogen- und Verbrechensfragen sowie zu Grundlagen der Polizeiarbeit oder die Technische Zusammenarbeit mit Staaten im Kampf gegen Drogen, Verbrechen und Terrorismus. Hauptsitz des UNODC ist Wien.

Foto: Ein US-Elitesoldat und ein afghanischer Soldat inspizieren ein Schlafmohnfeld; Aushebung eines Opiumlagers in der Provinz Helmand (oben rechts): Zu den Mythen des Opiumanbaus gehört der Hinweis, den Taliban sei es gelungen, den Opiumanbau einzudämmen

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