© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/09 17. Juli 2009

Mit Marktwirtschaft und Christentum
Caritas in veritate: Die neuformulierte Soziallehre des Papstes gibt Antworten in der Wirtschaftskrise
Bernd-Thomas Ramb

Wenn der Papst, insbesondere der amtierende Papst Benedikt XVI., Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie, eine Enzyklika verkündet, lohnt sich eine vollständige und sorgfältige Durchsicht. Die jüngste mit dem Titel „Caritas in veritate“ (Die Liebe in der Wahrheit) bezieht Stellung zu den sozialethischen Fragen der Welt. Angesichts der aktuellen weltweiten wirtschaftlichen und finanziellen Probleme findet dieses Thema besonders große Beachtung, auch bei Nichtkatholiken und selbst bei Nichtchristen. Das große Ansehen, daß das Oberhaupt der katholischen Kirche weltweit genießt, verstärkt allerdings auch das Bemühen einiger, durch oberflächliches „Rosinenpicken“ Teile der Sozialenzyklika vorurteilsbeladen und wunschgemäß zu interpretieren.

In ersten Analysen und Kommentaren wurde vorige Woche vom „Papst als Kapitalismuskritiker“ gesprochen, der die utopische Vorstellung von einer „Weltregierung“ entwickelt, sich dabei aber weigert, „den Dialog mit der zeitgenössischen politischen Philosophie von liberal bis kommunistisch zu suchen“. Gewiß bedeutet die Lektüre der aus 79 Artikeln bestehenden Sozialenzyklika eine intellektuelle Herausforderung, aber „ein schwerverständliches Konvolut“, wie ein Frankfurter Zeitungskommentator dies empfand, ist sie nicht. Man muß das Grundverständnis des praktizierten Christentums kennen, das Benedikt XVI. im Einklang mit seinen bisherigen Enzykliken bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht hat – und genau lesen, denn vieles spricht für sich.

Um mit dem für das deutsche Wirtschaftssystem – wenigstens konzeptionell – vorgesehenen Ordnungsprinzip zu beginnen: Die Sozialenzyklika ist nicht marktfeindlich. Im Gegenteil, sie betont ausdrücklich: „Der Markt unterliegt den Prinzipien der sogenannten ausgleichenden Gerechtigkeit, die die Beziehungen des Gebens und Empfangens zwischen gleichwertigen Subjekten regelt.“

Natürlich fehlt dabei keineswegs auch  die katholische Einschränkung: „Aber die Soziallehre der Kirche hat stets die Wichtigkeit der distributiven Gerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit für die Marktwirtschaft selbst betont, nicht nur weil diese in das Netz eines größeren sozialen und politischen Umfelds eingebunden ist, sondern auch aufgrund des Beziehungsgeflechts, in dem sie abläuft. Denn wenn der Markt nur dem Prinzip der Gleichwertigkeit der getauschten Güter überlassen wird, ist er nicht in der Lage, für den sozialen Zusammenhalt zu sorgen, den er jedoch braucht, um gut zu funktionieren. Ohne solidarische und von gegenseitigem Vertrauen geprägte Handlungsweisen in seinem Inneren kann der Markt die ihm eigene wirtschaftliche Funktion nicht vollkommen erfüllen.“

Vor der Frage, was unter Gerechtigkeit zu verstehen ist, drückt sich die Sozialenzyklika nicht. Der Papst versteht jedoch darunter nicht nur die Gerechtigkeit im politisch-rechtlichen (Umverteilungs-)Sinne, sondern darüber hinaus die (Verteilungs-)Gerechtigkeit, die sich im freiwilligen Schenken aus Liebe zeigt: „Die Liebe geht über die Gerechtigkeit hinaus, denn lieben ist schenken, dem anderen von dem geben, was ‘mein’ ist.“ Mit dem so formulierten Gerechtigkeitsbegriff verbindet der Papst den Gedanken des Gemeinwohls: „Jemanden lieben heißt sein Wohl im Auge haben und sich wirkungsvoll dafür einsetzen. Neben dem individuellen Wohl gibt es eines, das an das Leben der Menschen in Gesellschaft gebunden ist: das Gemeinwohl.“

Auch hier spielt die Liebe zu den Mitmenschen, die aus gutem Grund im Titel der Enzyklika betont wird, eine entscheidende Rolle. Sie bildet den Kern der neuformulierten Soziallehre – zusammen mit der Forderung nach Wahrheit. „Für die Entwicklung, den gesellschaftlichen Wohlstand und eine angemessene Lösung der schweren sozioökonomischen Probleme, welche die Menschheit plagen, ist diese Wahrheit notwendig. Und noch notwendiger dafür ist, daß diese Wahrheit geliebt und bezeugt wird. Ohne Wahrheit, ohne Vertrauen und Liebe gegenüber dem Wahren gibt es kein Gewissen und keine soziale Verantwortung: Das soziale Handeln wird ein Spiel privater Interessen und Logiken der Macht, mit zersetzenden Folgen für die Gesellschaft, um so mehr in einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung und in schwierigen Situationen wie der augenblicklichen.“ Klarer kann man es insbesondere verlogenen Politikern nicht um die Ohren hauen.

Weiter heißt es: „Ohne Wahrheit verfällt man in eine empiristische und skeptische Lebensauffassung, die unfähig ist, sich über die Praxis zu erheben, weil sie nicht daran interessiert ist, die Werte – und bisweilen sogar die Bedeutungen – zu erfassen, mit denen diese zu beurteilen und nach denen sie auszurichten ist. Die Treue zum Menschen erfordert die Treue zur Wahrheit, die allein Garant der Freiheit (vgl. Joh 8, 32) und der Möglichkeit einer ganzheitlichen menschlichen Entwicklung ist.“ Eben in letzterem liegt für den Papst die Lösung der Probleme: der ganzheitlich entwickelte Mensch, der die Liebe in der Wahrheit findet und zu einer „freien und solidarischen Übernahme von Verantwortung“ fähig wird.

Dazu bedarf es keiner institutionellen Struktur, die eher als hinderlich angesehen wird: „Die ganzheitliche menschliche Entwicklung setzt die verantwortliche Freiheit der Person und der Völker voraus: keine Struktur kann diese Entwicklung garantieren, wenn sie die menschliche Verantwortung beiseite läßt oder sich über sie stellt.“

Allerdings sagt der Papst auch knallhart: „Wenn wir im augenblicklichen sozialen und kulturellen Umfeld, in dem die Tendenz zur Relativierung der Wahrheit verbreitet ist, die Liebe in der Wahrheit leben, kommen wir zu der Einsicht, daß die Zustimmung zu den Werten des Christentums ein nicht nur nützliches, sondern unverzichtbares Element für den Aufbau einer guten Gesellschaft und einer echten ganzheitlichen Entwicklung des Menschen ist.“ Da findet sich keine liebdienerische Annäherung an egal-liberale oder kommunistisch-sozialistische Kompromisse. Islamische Fundamentalisten werden darüber sogar verärgert sein. Bernd-Thomas Ramb

Wenn der Papst, insbesondere der amtierende Papst Benedikt XVI., Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie, eine Enzyklika verkündet, lohnt sich eine vollständige und sorgfältige Durchsicht. Die jüngste mit dem Titel „Caritas in veritate“ (Die Liebe in der Wahrheit) bezieht Stellung zu den sozialethischen Fragen der Welt. Angesichts der aktuellen weltweiten wirtschaftlichen und finanziellen Probleme findet dieses Thema besonders große Beachtung, auch bei Nichtkatholiken und selbst bei Nichtchristen. Das große Ansehen, daß das Oberhaupt der katholischen Kirche weltweit genießt, verstärkt allerdings auch das Bemühen einiger, durch oberflächliches „Rosinenpicken“ Teile der Sozialenzyklika vorurteilsbeladen und wunschgemäß zu interpretieren.

In ersten Analysen und Kommentaren wurde vorige Woche vom „Papst als Kapitalismuskritiker“ gesprochen, der die utopische Vorstellung von einer „Weltregierung“ entwickelt, sich dabei aber weigert, „den Dialog mit der zeitgenössischen politischen Philosophie von liberal bis kommunistisch zu suchen“. Gewiß bedeutet die Lektüre der aus 79 Artikeln bestehenden Sozialenzyklika eine intellektuelle Herausforderung, aber „ein schwerverständliches Konvolut“, wie ein Frankfurter Zeitungskommentator dies empfand, ist sie nicht. Man muß das Grundverständnis des praktizierten Christentums kennen, das Benedikt XVI. im Einklang mit seinen bisherigen Enzykliken bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht hat – und genau lesen, denn vieles spricht für sich.

Um mit dem für das deutsche Wirtschaftssystem – wenigstens konzeptionell – vorgesehenen Ordnungsprinzip zu beginnen: Die Sozialenzyklika ist nicht marktfeindlich. Im Gegenteil, sie betont ausdrücklich: „Der Markt unterliegt den Prinzipien der sogenannten ausgleichenden Gerechtigkeit, die die Beziehungen des Gebens und Empfangens zwischen gleichwertigen Subjekten regelt.“

Natürlich fehlt dabei keineswegs auch  die katholische Einschränkung: „Aber die Soziallehre der Kirche hat stets die Wichtigkeit der distributiven Gerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit für die Marktwirtschaft selbst betont, nicht nur weil diese in das Netz eines größeren sozialen und politischen Umfelds eingebunden ist, sondern auch aufgrund des Beziehungsgeflechts, in dem sie abläuft. Denn wenn der Markt nur dem Prinzip der Gleichwertigkeit der getauschten Güter überlassen wird, ist er nicht in der Lage, für den sozialen Zusammenhalt zu sorgen, den er jedoch braucht, um gut zu funktionieren. Ohne solidarische und von gegenseitigem Vertrauen geprägte Handlungsweisen in seinem Inneren kann der Markt die ihm eigene wirtschaftliche Funktion nicht vollkommen erfüllen.“

Vor der Frage, was unter Gerechtigkeit zu verstehen ist, drückt sich die Sozialenzyklika nicht. Der Papst versteht jedoch darunter nicht nur die Gerechtigkeit im politisch-rechtlichen (Umverteilungs-)Sinne, sondern darüber hinaus die (Verteilungs-)Gerechtigkeit, die sich im freiwilligen Schenken aus Liebe zeigt: „Die Liebe geht über die Gerechtigkeit hinaus, denn lieben ist schenken, dem anderen von dem geben, was ‘mein’ ist.“ Mit dem so formulierten Gerechtigkeitsbegriff verbindet der Papst den Gedanken des Gemeinwohls: „Jemanden lieben heißt sein Wohl im Auge haben und sich wirkungsvoll dafür einsetzen. Neben dem individuellen Wohl gibt es eines, das an das Leben der Menschen in Gesellschaft gebunden ist: das Gemeinwohl.“

Auch hier spielt die Liebe zu den Mitmenschen, die aus gutem Grund im Titel der Enzyklika betont wird, eine entscheidende Rolle. Sie bildet den Kern der neuformulierten Soziallehre – zusammen mit der Forderung nach Wahrheit. „Für die Entwicklung, den gesellschaftlichen Wohlstand und eine angemessene Lösung der schweren sozioökonomischen Probleme, welche die Menschheit plagen, ist diese Wahrheit notwendig. Und noch notwendiger dafür ist, daß diese Wahrheit geliebt und bezeugt wird. Ohne Wahrheit, ohne Vertrauen und Liebe gegenüber dem Wahren gibt es kein Gewissen und keine soziale Verantwortung: Das soziale Handeln wird ein Spiel privater Interessen und Logiken der Macht, mit zersetzenden Folgen für die Gesellschaft, um so mehr in einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung und in schwierigen Situationen wie der augenblicklichen.“ Klarer kann man es insbesondere verlogenen Politikern nicht um die Ohren hauen.

Weiter heißt es: „Ohne Wahrheit verfällt man in eine empiristische und skeptische Lebensauffassung, die unfähig ist, sich über die Praxis zu erheben, weil sie nicht daran interessiert ist, die Werte – und bisweilen sogar die Bedeutungen – zu erfassen, mit denen diese zu beurteilen und nach denen sie auszurichten ist. Die Treue zum Menschen erfordert die Treue zur Wahrheit, die allein Garant der Freiheit (vgl. Joh 8, 32) und der Möglichkeit einer ganzheitlichen menschlichen Entwicklung ist.“ Eben in letzterem liegt für den Papst die Lösung der Probleme: der ganzheitlich entwickelte Mensch, der die Liebe in der Wahrheit findet und zu einer „freien und solidarischen Übernahme von Verantwortung“ fähig wird.

Dazu bedarf es keiner institutionellen Struktur, die eher als hinderlich angesehen wird: „Die ganzheitliche menschliche Entwicklung setzt die verantwortliche Freiheit der Person und der Völker voraus: keine Struktur kann diese Entwicklung garantieren, wenn sie die menschliche Verantwortung beiseite läßt oder sich über sie stellt.“

Allerdings sagt der Papst auch knallhart: „Wenn wir im augenblicklichen sozialen und kulturellen Umfeld, in dem die Tendenz zur Relativierung der Wahrheit verbreitet ist, die Liebe in der Wahrheit leben, kommen wir zu der Einsicht, daß die Zustimmung zu den Werten des Christentums ein nicht nur nützliches, sondern unverzichtbares Element für den Aufbau einer guten Gesellschaft und einer echten ganzheitlichen Entwicklung des Menschen ist.“ Da findet sich keine liebdienerische Annäherung an egal-liberale oder kommunistisch-sozialistische Kompromisse. Islamische Fundamentalisten werden darüber sogar verärgert sein.

Benedikt XVI.: Liebe in Wahrheit – Caritas in Veritate. Die Sozialenzyklika. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2009, gebunden, 112 Seiten, 9,90 Euro Im Internet: www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/encyclicals/index_en.htmd

Foto: Papst Benedikt XVI.: Für den sozialen Zusammenhalt sorgen

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