© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/09 17. Juli 2009

Fassungslose Opfer
Stasi und öffentlicher Dienst: Mangelhafte Aufarbeitung der Altlasten
Carl-Wolfgang Holzapfel

Werner L. (Name geändert) nahm vor wenigen Jahren an einer Demonstration für die Anerkennung der Verfolgten des SED-Regimes teil. Vor einem öffentlichen Gebäude kam es zu Rangeleien mit Linken, die sich gegen den Auftritt der DDR-Opfer wandten. Als die Polizei einschritt, gewahrte Werner L. einen Uniformierten, der ihm einst als Stasi-Vernehmer begegnet war. Werner L. wurde ohnmächtig, und keiner begriff, warum.

Eines von unzähligen Beispielen, die die Problematik der Weiterbeschäftigung ehemaliger Angehöriger des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im öffentlichen Dienst aufzeigen. Seinerzeit gab es die 68er Bewegung, denen man einiges vorwerfen kann, nicht aber die Befassung mit den Altlasten der Bundesrepublik, die in der unkritischen Übernahme alter NS-Kader bestand. In der Tat war mit dem Zusammenbruch ein Zustand entstanden, für den es keinerlei Erfahrungswerte in der deutschen Geschichte gab. Das entschuldigt keine Fehler, erklärt aber manche Fehlentwicklung. Und man durfte nach dieser Erfahrung darauf vertrauen, daß sich diese Fehler nicht wiederholen würden.

Zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR stehen wir vor den Trümmern dieses Vertrauens in die Solidität und Rechtschaffenheit der neuen Republik. Immer mehr Details über die Eingliederung belasteter Stasi-Kader in das öffentliche Koordinatensystem der vereinigten Republik werden bekannt. Noch heute sollen annähernd 17.000 dieser Kader im öffentlichen Dienst beschäftigt sein.Die Reaktionen der Politik? SPD und Union erklärten unisono, alles sei rechtsstaatlich zugegangen, eine erneute Überprüfung sei nicht mehr möglich, basta. Bereits zuvor hatte der Bundestag einen Antrag der FDP auf Überprüfung aller Bundestagsabgeordneten mit Mehrheit abgelehnt.

Erst jüngst gab es eine interessante Anhörung im Brandenburger Landtag zur (endlichen) Installierung eines Stasi-Beauftragten. Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) und die Vereinigung 17. Juni hatten vorgeschlagen, einen Beauftragten für „Fragen zur Aufarbeitung der NS- und SED-Diktatur“ zu ernennen, da eine ausschließliche Befassung mit Stasi-Fragen zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR kaum vermittelt werden könne.

Als Sachverständige waren neben der UOKG (Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft) auch der VVN (Verband der Verfolgten des Naziregimes) geladen worden. Nicht nur der VVN befürchtete, die NS-Opfer würden durch einen Beauftragten „für beide Diktaturen“ in den Hintergrund gedrängt, die Opfer der DDR würden eine „unangemessene, nicht vertretbare Aufwertung“ erhalten. VVN – Sachverstand? Dieser Verband wurde einst durch Kommunisten gegründet, war maßgeblich mit DDR-Geldern gefüttert worden und wird heute noch vom Verfassungsschutz beobachtet.

Die Ursachen für die unkritische Eingliederung ehemaliger MfS-Kader liegen wohl in dieser nicht haltbaren Klassifizierung der beiden Diktaturen in eine Diktatur 1. und 2. Klasse und damit auch in einer skandalösen Klassifizierung der Opfer. Dabei tun sich die Apologeten dieser seltsamen Sortierung von Verfolgten insofern leicht, als sie den vieltausendfachen Toten der roten DDR-Diktatur die Millionen Toten der braunen NS-Diktatur gegenüberstellen (können). Verschwiegen wird dabei, daß die SED-beherrschte DDR ein wichtiger Baustein im verbrecherischen Gesamtgefüge des Kommunismus darstellte. Mit dem Bekenntnis der „unerschütterlichen Bruderschaft zur großen Sowjet­union“, die für den millionenfachen Mord an Unschuldigen verantwortlich zeichnete, machte sich die SED politisch gemein mit den roten Verbrechern der Geschichte.

Mit dem Ministerium für Staatssicherheit hatte sich die SED eine eigene, zu Verbrechen wie Mord und Folter befähigte Abteilung geschaffen. Die Tatsache, daß  noch immer 58 der 730 Mitarbeiter im Landeskriminalamt Brandenburg eine Biographie als MfS-Offiziere haben, kann nicht allein mit dem Stolpe-Effekt erklärt werden. Der erste Ministerpräsident Brandenburgs war als der Stasi-Mitarbeit verdächtigter Politiker bekanntlich nicht an einer Aufarbeitung von Altlasten interessiert. Die jetzige Ablehnung erneuter Überprüfungen durch die zuständigen Minister in den neuen Ländern ist skandalös.

Die Verfolgten und Opfer der zweiten deutschen Diktatur aber stehen der Beschäftigung ihrer einstigen Peiniger in den Büros des öffentlichen Dienstes „fassungslos, entsetzt und erschrocken“ gegenüber. Sie fühlen sich erneut gedemütigt, den weiter möglichen Schikanen ehemaliger Täter des roten Sozialismus ausgesetzt.

An fünf Fingern kann man indes jene einstigen Täter ablesen, die zu ihren Verbrechen stehen, an einer Aufarbeitung mitarbeiten und gegen deren Einbindung in unser System kaum Einwände erhoben werden können. Die Mehrheit der Täter hingegen trifft sich in steuerlich begünstigten, gemeinnützigen Vereinen, beleidigt und verhöhnt in diversen Veranstaltungen und Büchern die einst Verfolgten. Im Gegensatz zu den Tätern haben deren Opfer so gut wie keine Lobby. Da kann die Politik diskutieren, wie sie will, sie hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht.

 

Carl-Wolfgang Holzapfel ist Vorsitzender der Vereinigung 17. Juni 1953.