© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/09 10. Juli 2009

Warnung vor einer Finanzdiktatur
Tagung: Auf dem ersten Bundestreffen seiner „Volksinitiative“ klärt Jürgen Elsässer über die Finanzkrise auf und empfiehlt China und Rußland als Vorbild
Hinrich Rohbohm

Hier geradeaus die Straße runter, dann links“, raunt ein Mann in roter Kapuzenjacke den Ankommenden am Hünfelder Bahnhof zu. Es wirkt wie der geheime Hinweis auf den Treffpunkt einer Untergrundbewegung. Und wahrscheinlich sehen sich die Teilnehmer der Veranstaltung in der 16.000 Einwohner zählenden Kleinstadt auch so.

Hünfeld, das ist eine Stadt in Osthessen, knapp 16 Kilometer von Fulda entfernt. „Alles Schall und Rauch“, steht auf dem Plakat, daß der Kapuzenmann als Erkennungszeichen vor seiner Brust hält. Es ist der Name eines Internet-Blogs, das zum Deutschland-Treffen in die Hünfelder Stadthalle geladen hat. Nur den angemeldeten Teilnehmern ist der Tagungsort bekannt. Die Veranstaltung sei mit über 500 Teilnehmern bereits seit Tagen ausgebucht, hatte es im Internet geheißen. Doch als der Schweizer Internet-Blogger und Initiator „Freeman“ die Tagung eröffnet, sind noch mehr als die Hälfte der Plätze frei.

Erst nachdem Georg Sedlmaier von der anthroposophisch orientierten Gutberlet-Stiftung über Gefahren der Gentechnologie referiert und Martina Heimbrodt Unkraut als wahre Vitaminbomben ausgemacht hat, füllt sich der Saal. Jürgen Elsässer spricht. Es wird still in der Stadthalle. Die Neugier ist groß auf den Mann, der einst Mitglied des Kommunistischen Bundes war, als außenpolitischer Berater Oskar Lafontaines gilt und den Nationalstaat als Abwehrinstrument gegen anglo-amerikanisches Finanzkapital sieht.

Elsässer wettert gegen den Kapitalismus. Der ehemalige Arcandor-Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff sei „eine britische Heuschrecke mit deutschem Paß“, der für die Arcandor-Pleite ebenso die Verantwortung trage wie Arcandor-Großaktionärin Madeleine Schickedanz, die „keinen kaufmännischen Verstand“ habe. Deren Geschäftspartner Josef Esch nennt Elsässer einen „treudeutschen Verbrecher“, der eigentlich nur ein Baupolier sei und das Geld vom alten deutschen Adel bekommen habe. Und da schließe sich der Kreis zur Politik, denn auch Wirtschaftsminister Guttenberg sei ja bekanntlich blaublütig. Der Adel wiederum habe mit Hilfe der „Heuschrecken“ Arcandor durch „sittenwidrig hohe Mieten“ zerstört.

Die Fäden bei all den Vorkommnissen halte das Bankhaus Goldman Sachs in den Händen, die „eine der gefährlichsten Banken“ sei und neben der JP Morgan Bank zu den Profiteuren der Wirtschaftskrise zähle. Auch die Bundesregierung spiele eine unrühmliche Rolle, ist Elsässer überzeugt. CDU und SPD wollen die Wirtschaftskrise bis nach der Bundestagswahl hinauszögern. Und der SPD-Politiker und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Jörg Asmussen sei ein „Finanzdiktator“ und „ein Mann von Goldman Sachs“. Dessen Chef Peer Steinbrück bezeichnet Elsässer als „Schwachkopf“, während er den 480-Milliarden-Euro-Fonds für die Banken mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten vergleicht und britische Steueroasen wie Isle of Man oder die Antillen als „Pirateninseln“ brandmarkt. Zudem habe der amerikanische Präsident Barack Obama die „Hauptverbrecher“ der Wirtschaftskrise zu seinen Beratern gemacht.

Ohnehin sei in der DDR vieles besser gewesen. So habe es dort etwa keinen Zins gegeben, den Elsässer ein „Grundübel“ nennt. Deutschland sei gut beraten, sich stärker an Rußland und China zu orientieren statt an den Vereinigten Staaten. Durch den Lissabon-Vertrag drohe Europa zudem eine Finanzdiktatur, die es zu verhindern gelte. Begeisterung bei den Zuhörern, die sich fortsetzt, als der Verfassungsrechtler Karl Schachtschneider zum Vertragswerk spricht und ebenfalls vor einem „Marsch in die EU-Diktatur“ warnt.

Sowohl die „Alles Schall und Rauch“-Blogger als auch die ebenfalls in Hünfeld tagende, von Elsässer gegründete überparteiliche „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“ (17/09) wollen weiteren Widerstand gegen den Vertrag leisten. Zuerst feiert man zwar am 18. Juli in Berlin das Sommerfest der Initiative, doch Anfang September soll es dort zur Verabschiedung des Lissabon-Begleitgesetzes eine Demonstration geben. Elsässer: „Auch wenn wir das Inkrafttreten nicht verhindern können, ist es möglich zu zeigen, daß es Widerstand gibt.“

Weitere Informationen im Internet unter www.alles-schallundrauch.blogspot.com und www. juergenelsaesser.wordpress.com

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