© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/09 10. Juli 2009

Der namenlose Krieg
Bundeswehr: Die dramatisch verschärfte Sicherheitslage in Afghanistan konfrontiert die Bundesregierung mit unangenehmen Fragen
Paul Rosen

Nein, von einem Krieg in Afghanistan will der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Jung immer noch nicht sprechen (siehe auch den Kommentar auf Seite 2). Die Debatte über diese Frage trage „nur den Taliban Rechnung, denn die wollen natürlich einen Heiligen Krieg daraus machen“, so Jung, der andererseits die deutschen Toten in Afghanistan als „Gefallene“ bezeichnet und zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel „Tapferkeitsmedaillen“ verleiht. „Fallen“ kann man nur im Krieg, Tapferkeitsmedaillen gibt es auch nur im Krieg, und Jungs feinsinnige Unterscheidung ist natürlich nur Vernebelungstaktik über die tatsächlichen Verhältnisse – vor allem vor dem Hintergerund, daß amerikanische und britische Streitkräfte im Süden eine Großoffensive begonnen haben. Offensiven werden ebenfalls nur in einem Krieg durchgeführt und nicht beim zivil-militärischen Wiederaufbau, den die Bundesregierung immer noch propagiert. Dabei hat der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) aus Gesprächen mit Soldaten berichtet, daß auch die Bundeswehr keine Brunnen mehr baue. Es sei Krieg, hätten die Soldaten gesagt.

Deutschland verstrickt sich jedenfalls immer tiefer in diesen Krieg, den die Mehrheit der Bundesbürger inzwischen ablehnt. In der jüngsten ARD-Umfrage sprachen sich 69 Prozent für einen schnellen Rückzug aus Afghanistan aus, beim ZDF waren es 55 Prozent. Dennoch stockt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages das Engagement immer weiter auf. Nachdem jetzt auch deutsche Nato-Soldaten in AWACS-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan sollen, steigt die Truppenstärke auf 4.800 deutsche Soldaten. Auch die Vereinigten Staaten verstärken ihre Truppen ständig. Doch der Feind wird stärker. Allein in der ersten Juni-Woche wurden 400 Taliban-Angriffe gezählt – so viele wie nie zuvor.

Die Taliban gehen inzwischen dazu über, die Bundeswehr-Einheiten in Feuergefechte zu verwickeln, statt ihnen wie früher Hinterhalte zu legen. Aber die deutschen Soldaten sind durch sehr strenge Befehle in ihrem Einsatz beschnitten und haben darüber hinaus einen nicht zu unterschätzenden Gegner an der Heimatfront: den deutschen Staatsanwalt. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, Ulrich Kirsch, wußte beim Jahresempfang seines Verbandes in Berlin zu berichten, ein Angriff auf die Deutschen, bei dem mehrere Einheimische ums Leben gekommen waren, habe auf einem deutschen Truppenübungsplatz detailliert nachgestellt werden müssen. Damit wollte der Staatsanwalt kontrollieren, ob er Anklage gegen die Soldaten erheben muß. Die Teilnehmer des Empfangs schüttelten nur noch mit den Köpfen.

Skandalös erscheint auch die „Taschenkarte“ der Bundeswehr. Sie enthält die Befehle für jeden Soldaten. In der Truppe ist es ein offenes Geheimnis, daß der, der die Befehle genau beachtet, schnell tot sein kann. So soll der Soldat, ehe er den Taliban erschießt, „Stop“ rufen. Sollte ein Gegner die Flucht ergreifen, darf nicht auf ihn geschossen werden, so daß er bei nächster Gelegenheit sein tödliches Werk fortsetzen kann. Erst jetzt sind Änderungen im Gespräch: Die Bundeswehr soll danach Abwehrmaßnahmen schon dann beginnen, wenn ein Angriff „erkennbar“ ist statt wie bisher „unmittelbar“ bevorsteht. Das mag haarspalterisch klingen, ist aber wichtig für die Soldaten, um sich den Staatsanwalt vom Hals halten zu können. Auch die generelle Einsatzgrundlage wird möglicherweise geändert. So soll aus dem Einsatzbefehl laut dem Spiegel der folgende Satz gestrichen werden: „Die Anwendung tödlicher Gewalt ist verboten, solange nicht ein Angriff stattfindet oder unmittelbar bevorsteht.“ In Bundeswehr-Kreisen heißt es, wenn man sich gerade an diese Vorschrift gehalten hätte, wäre die Zahl der gefallenen deutschen Soldaten schon wesentlich höher.

Auch die Ausrüstung der Bundeswehr ist unzureichend. Schwere Waffen wie Artillerie sind laut Einsatzbeschluß nicht vorgesehen, obwohl sie gebraucht würden. Jung selbst beklagt Defizite bei Hubschraubern. Die neuen Hubschrauber für die Truppe sind aber nicht einsatzbereit. Und ein Einsatz der Luftwaffe ist außer zu Aufklärungszwecken nicht vorgesehen. Das heißt: Wenn eine deutsche Einheit eingekesselt wird, muß gewartet werden, bis die Amerikaner Luftunterstützung schicken, selbst wenn die deutschen Tornados in Masar i Sharif tatenlos am Boden stehen.Und bei dem jüngsten Angriff, bei dem drei deutsche Soldaten, alle Anfang 20 Jahre alt, starben, gibt es einen Punkt, der einer Überprüfung bedarf: Sie saßen während eines Taliban-Angriffs in einem Transportpanzer „Fuchs“ und stürzten während eines Ausweichmanövers in einen Fluß oder Wassergraben. Das Fahrzeug Fuchs ist älter als die Soldaten und bietet alles andere als Schutz vor Unfällen, Minen oder Angriffen. Mit diesen Einsatzmitteln ist der Krieg nicht zu gewinnen.

Foto: Verteidigungsminister Jung ehrt in Bad Salzungen die gefallenen Soldaten: Neuer Einsatzbefehl?

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