© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/09 10. Juli 2009

Wolfram Wette. Der Historiker gibt die Stichworte in der aktuellen Deserteurs-Debatte
Der falsche Kamerad
Felix Krautkrämer

Es gehört zweifellos zu den größten Erfolgen für einen Historiker, wenn seine Deutungen nicht nur Bestandteil der offiziellen Lehre, sondern sogar Regierungsposition werden. Der Militärhistoriker Wolfram Wette ist einer, dem dieses Meisterstück gelungen ist. Seit Jahren kämpft der Freiburger Professor an der publizistischen Front um „Gerechtigkeit“ für Deserteure und Kriegsverräter. Mit Erfolg: Letzte Woche legte der Bundestag einen Gesetzentwurf vor, der die pauschale Rehabilitierung von Kriegsverrätern vorsieht (siehe auch Seite 2). Die Befürworter des Antrags berufen sich vor allem auf das 2007 von Wette herausgegebene Buch „Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und ‘Kriegsverrat’“, nach dem es sich beim Großteil der Verurteilungen um Unrechtsurteile zum Zwecke der Abschreckung gehandelt habe.

Die „NS-Militärjustiz“ gehört inzwischen zu den Steckenpferden des 1940 in Ludwigshafen Geborenen, der sich zuvor von 1971 bis 1995 durch seinen Dienst beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) der Bundeswehr in Freiburg einen Namen gemacht hatte. Schon im Jahr seines Abschieds erschien sein erstes Buch zum Thema, „Deserteure der Wehrmacht. Feiglinge, Opfer, Hoffnungsträger?“, und bereits 1996 „Was damals Recht war ... NS-Militär- und Strafjustiz im Vernichtungskrieg“, dessen Titel nicht zufällig auf den Fall Filbinger anspielt, an dem Wette sich geradezu zwanghaft abarbeitet. Ko-Autor war der Altmeister der vergangenheitsbewältigenden Geschichtsschreibung, Wettes ehemaliger MGFA-Kollege Manfred Messerschmidt. Beide hatten seinerzeit maßgeblich am Aufbau der sogenannten „Roten Zelle“ mitgewirkt, einer Gruppe linker und SPD-naher Historiker, die die politisch korrekte Ausrichtung des MGFA in den achtziger und neunziger Jahren wesentlich bestimmte.

Wie Messerschmidt gehört auch Wette zu den Unterstützern der aktuellen Wanderausstellung „Was damals Recht war ... Soldaten und Zivilisten vor den Gerichten der Wehrmacht“ (JF 27/07), die sich die gesellschaftliche Anerkennung und Heroisierung von Deserteuren auf die Fahne geschrieben hat.

Aber nicht nur die Wehrmacht, auch die Bundeswehr sieht der Historiker kritisch: Selbst Reserveoffizier, gehört Wette dem Förderkreis der linksorientierten Soldaten-Vereinigung „Darmstädter Signal“ (JF 46/06) an, die sich als „kritisches Sprachrohr“ der Bundeswehr betrachtet. Immer wieder warnt Wette vor „rechtsradikalen“ Tendenzen in der Bundeswehr sowie einer „Militarisierung“ der deutschen Innenpolitik. 2005 bezeichnete er den Großen Zapfenstreich zum 50. Geburtstag der Bundeswehr in der ehemaligen FDJ-Zeitung Junge Welt als „antiquiertes militärisches Zeremoniell, das ... den Verstand ausschalten soll“.

Wolfram Wette ist der Idealtyp des neuen bundesrepublikanischen Historikers, der moralische und politische Erwägungen in seine Forschung einfließen läßt: ein Geschichtspolitiker eben.

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