© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/09 03. Juli 2009

Der dritte Mann
Iran: Der Machtkampf hat sich von der Straße auf die islamische Führungsebene verlagert / Ex-Präsident Rafsandschani als Strippenzieher?
Günther Deschner

Die Straßenproteste in Teheran sind abgeflaut. Wo vor zwei Wochen noch Hunderttausende demonstrierten, sind nur noch ein paar tausend Oppositionelle auf der Straße. Doch die inneren Gegensätze, die das politische System der Islamischen Republik Iran seit der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni einer Zerreißprobe aussetzen, sind damit nicht gelöst. Während es den Sicherheitskräften gelungen ist, die Straßenproteste der Anhänger des offiziell unterlegenen Kandidaten Mir-Hossein Mussawi niederzuschlagen, zeigen sich inzwischen Risse in den Führungsebenen der islamischen Republik.

Ein erstes Anzeichen dafür war die mißglückte Siegesfeier des Präsidenten im Parlament: Nur 103 Parlamentarier fanden sich ein, um Mahmud Ahmadi-Nedschad zur zweiten Amtszeit zu applaudieren. 183 Abgeordnete blieben fern, darunter fast alle namhaften Persönlichkeiten. Aufsehen erregte, daß auch Ali Laridschani fehlte. Der prominente Politiker, der von Ahmadi-Nedschad als Atomunterhändler entlassen worden und daraufhin zum Parlamentspräsidenten gewählt worden war, hatte bereits kurz nach der Wahl seine Absicht erklärt, einen Parlamentsausschuß einzurichten, der die Vorwürfe der Wahlfälschung untersuchen sollte. Laridschani kommt aus einer einflußreichen Familie und wird dem „konservativen“ Flügel zugerechnet. Einer seiner Brüder sitzt sogar im mächtigen „Wächterrat“.

Immer deutlicher sieht sich das regierende Machtkartell mit offener Kritik auch anderer namhafter Konservativer konfrontiert. Der Teheran-Korrespondent des britischen Guardian kommt sogar zu dem Schluß, der Machtkampf habe sich inzwischen von der Straße ins „Herz des Regimes“ verlagert – bis hin zu den mächtigen Kontrollinstanzen „Wächterrat“ und „Expertenrat“. Auch andere Iran-Experten sind davon überzeugt, daß die Legitimität des Regimes angekratzt und seine innere Geschlossenheit beginnender Erosion ausgesetzt ist. Mehrere Analysten angesehener Medien und Institute meinen, daß sich im Iran durch die Präsidentschaftswahlen und das, was darauf folgte, ein grundlegender Wandel angebahnt hat. Selbst die Stabilität der Herrschaft Ajatollah Ali Khameneis, des „Obersten Führers“, der wie ein göttlicher Vormund die irdischen Geschicke lenkt, gilt einigen Mitgliedern der iranischen Nomenklatura nicht mehr als sakrosankt.

Paradebeispiel dafür sind Berichte mehrerer Mittelost-Korrespondenten, wonach der als Pragmatiker geltende einflußreiche Ex-Präsident Ajatollah Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, der im Wahlkampf Mussawi unterstützt hatte, derzeit sogar versucht, die Position Ajatollah Ali Khameneis zu relativieren. Die gegen Khamenei gerichteten „Manöver“ Rafsandschanis erfolgen eine Ebene höher, parallel zu den sichtbar werdenden Spannungen zwischen Parlamentspräsident Laridschani und Staatschef Ahmadi-Nedschad – wenn die vielen Gerüchte und die wenigen bisher durchgesickerten Fakten zutreffen.

In der Tat könnte einem Mann wie Rafsandschani zugetraut werden, die Stellung Ahmadi-Nedschads und Ali Khameneis zu erschüttern. Der einstige Juniorpartner (und spätere Banker) von Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Khomeini, des Gründers der Islamischen Republik, ist nicht nur der reichste Mann im Staat, sondern er hat auch großen Einfluß unter den Klerikern und verfügt über zahlreiche Netzwerke, die seinen Interessen dienlich sind. Kleriker, Unternehmer und Revolutionär in einem, zieht er wie kein Zweiter hinter den Kulissen die Fäden. Das Magazin Forbes schrieb, er halte „mehr oder weniger die Islamische Republik am Laufen“.

Rafsandschani gilt als eingeschworener Gegner des obersten geistlichen Führers Khamenei, des Schutzpatrons des jedenfalls amtlich wiedergewählten Präsidenten Ahmadi-Nedschad. Khamenei betont in der Öffentlichkeit regelmäßig, er habe mit Rafsandschani keinerlei Probleme und halte ihn für einen ehrbaren Mann. Das ist wenig verwunderlich, ist Ajatollah Rafsandschani doch der gewählte Vorsitzende des „Expertenrats“, des 86köpfigen Gremiums, das den „Obersten Führer“ und somit den mächtigsten Mann im Staat wählt und kontrolliert. „Wenn einer Khamenei gefährlich werden könnte“, kommentierte dieser Tage die Neue Zürcher Zeitung, „dann Rafsandschani, der theoretisch mit seinem Expertenrat Khamenei stürzen kann“.

Die Oppositionsbewegung um Mussawi klammert sich an die Hoffnung, daß Rafsandschani mit seinen subtilen Möglichkeiten von religiösem Ansehen, politischem Einfluß und persönlichem Reichtum mehr erreicht, als es Wählerstimmen und Straßenproteste konnten. Der Guardian gibt Berichte wieder, wonach Rafsandschani angeblich schon abtastet, welche Mitglieder des Expertenrats er für den Plan gewinnen kann, die Alleinstellung Khameneis zu beenden und ihn durch ein kleines Gremium hochrangiger Ajatollahs zu ersetzen, dem durchaus auch der jetzige Oberste Führer angehören soll. Sollte Rafsandschani mit diesem Vorhaben reüssieren, könnte sich daraus eine signifikante Machtverschiebung innerhalb des theokratischen Systems ergeben.

Im „Expertenrat“ steht den Anhängern Rafsandschanis jedoch eine mächtige Gruppe um den radikalkonservativen Ajatollah Mohammad Taqi Mesbah-Yazdi gegenüber. Er ist der geistige Ziehvater und Mentor Ahmadi-Nedschads und soll angeblich in einer Fatwa einen Wahlbetrug gutgeheißen haben, falls damit „dem von Gott ausgewählten Kandidaten“ zum Sieg verholfen werden könne. Mesbah-Yazdi gilt als Erzrivale Rafsandschanis, auch weil er diesem vor zwei Jahren bei der Wahl zum Vorsitz des Expertenrats unterlag. Yazdi werden aber auch eigene Ambitionen nachgesagt, Khamenei in dessen jetziger Funktion abzulösen.

Vieles deutet also darauf hin, daß das innere Gefüge des Iran in Bewegung gekommen ist. Allerdings, so urteilen westliche Diplomaten in Teheran, gehe es auch Rafsandschani stets auch um den Erhalt der Islamischen Republik. „Eine Öffnung zum Westen, größere Kooperationsbereitschaft beim umstrittenen Atomprogramm wären auch unter ihm nur dann zu haben, wenn wirtschaftliche Vorteile entstehen, für die Islamische Republik – und für ihn selbst.“

Foto: Rafsandschani vor Bildern von Khomeini und Khamenei: Was plant dessen Erzrivale Mesbah-Yazdi?

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