© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/09 26. Juni 2009

Eine Serie von Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof / Teil 4
Krieg gegen die nationalen Minderheiten
Insbesondere das Schicksal der deutschen Minderheit steigerte sich im Vielvölkerstaat Polen bis zur Unerträglichkeit

Das neugeschaffene Polen war nach 1919 mit der Angliederung ehemals deutscher, ukrainischer, weißrussischer, litauischer und weiterer Landesteile ein Vielvölkerstaat mit 19 Millionen Polen und 11 Millionen Menschen anderer Muttersprachen geworden, darunter auch zwei Millionen Deutschen.

Polen hatte die Rechte seiner Minoritäten zunächst in dem zum Versailler Vertrag gehörenden Minderheitenschutzvertrag garantieren müssen. Doch die Polen kündigten den Schutzvertrag alsbald und begannen, sich für die früher erduldete Russifizierung und Eindeutschung aus der Zeit der polnischen Teilungen zu rächen. Doch sie gingen mit der Polonisierung derer, die nun Minderheit in ihrem Staate waren, weit über das hinaus, was ihnen selbst zuvor – zumindest unter deutscher und habsburgischer Herrschaft – zugemutet worden war.

Die deutsche Minderheit in Polen nahm bis 1923 auf 1,2 Millionen ab. Als erstes inhaftierte man 16.000 Deutsche als „Staatsfeinde“ in zwei Konzentrationslagern im Posener Gebiet. Ab 1922 wurden alle Deutschen ausgewiesen, die nach 1908 ins Land gekommen waren. Man stellte die Deutschen vor die Wahl, sich für Polen zu entscheiden oder für Deutschland zu „optieren“ und dorthin auszuwandern. Die „Optanten“, die sich zu Deutschland oder Österreich bekannten, mußten ab 1925 das Land verlassen. Zudem entließ man die deutschsprachigen Beamten. Etwa die Hälfte der deutschen Schulen und Universitäten mußten schließen. Der doppelsprachige Unterricht, soweit nach Kriegsende noch erteilt, wurde per Gesetz verboten. Einem großen Teil der Deutschen genauso wie der Ukrainer, Weißrussen, Juden und Österreicher wurden ihre Arzt- und Apothekerapprobationen und die Geschäfts- und Verlagslizenzen entzogen. Und ansonsten wurde seitens der polnischen Administration geschäftlich alles boykottiert, was nicht polnisch war.

Erst im November 1937 schlossen Polen und das Deutsche Reich einen neuen, bilateralen Minderheitenschutzvertrag, der die Last der Diskriminierung der Volksdeutschen in Polen für kurze Zeit erleichterte.

Als 1938 erst Österreich und dann die Sudentengebiete mit dem Deutschen Reich vereinigt wurden, stieg die Angst der Polen, Deutschland könnte auch Land und dessen Einwohner aus dem Bestand des früheren Deutschen Reichs zurückverlangen. Das feindliche Klima gegen die deutschsprachige Minderheit nahm wieder scharfe Formen an. Terrorakte gegen Deutsche, die Zerstörung deutscher Geschäfte und die Brandstiftungen an deutschen Bauernhöfen nahmen im Frühjahr 1939 ständig zu. Nach der Rückgliederung des Memellandes an das Reich im März wurde die Lage der Deutschen in Polen gänzlich unerträglich.

Im Sommer 1939 schwoll die Zahl der Volksdeutschen, die dem entkommen und Polen „illegal“ verlassen wollten, ständig an. Bis Mitte August waren über 76.000 Menschen ins Reich geflohen und 18.000 zusätzlich ins Danziger Gebiet. Die Berichte über den Umgang der Polen mit ihrer deutschen Minderheit und die Schilderungen der Geflohenen waren Öl aufs Feuer des deutsch-polnischen Verhältnisses in den letzten Wochen und Tagen vor dem Kriegsausbruch. Der damalige Staatssekretär Ernst von Weizsäcker schrieb dazu in seinen Erinnerungen: „Unsere diplomatischen und Konsularberichte zeigten, wie 1939 die Welle immer höher auflief und das ursprüngliche Problem, Danzig und die Passage durch den Korridor überdeckte.“

Polen hat von Anfang an die Chance, seine nationalen Minderheiten in ein neues Vaterland zu integrieren, nicht gesucht und, wo sie gegeben war, verspielt. Man machte im neuen Polen nicht einmal den Ansatz des Versuchs, die großen Minderheiten der Deutschen, Juden, Weißrussen und Ukrainer für das eigene Land zu gewinnen. Statt dessen drehte das Bemühen, die Identität der Minderheiten zu zerstören, Haß und Terror in einer Spirale fast zwei Jahrzehnte lang nach oben. So war 1939 in Deutschland und in Rußland niemand mehr bereit, die Polen als die Opfer der drei früheren Teilungen zu betrachten, denen man historisch etwas schuldete. Man sah in ihnen mittlerweile die Täter gegen Deutsche, Ukrainer und Weißrussen, denen ein schlimmes Schicksal das Los der Minderheit in Polen aufgebürdet hatte.

Fortsetzung in der nächsten JF

Foto: Ankunft deutscher Flüchtlinge aus Posen an der Demarkationslinie bei Bentschen (Ostbrandenburg) 1920: Verfolgung, Diskriminierung, Entlassung, Boykott

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