© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/09 26. Juni 2009

Die NS-Grundordnung stand zur Debatte
Ein unübersichtlicher Juni 1934: Vor 75 Jahren wurde in der Mordaktion gegen einen „Röhm-Putsch“ und konservative Fronde Hitlers Diktatur zementiert
Axel Loehr

Am Ende ging alles blitzschnell. Vor 75 Jahren, am 30. Juni 1934, fand sich der scheinbar so mächtige Ernst Röhm, Stabschef der SA, bayerischer Staatsminister und Reichsminister ohne Geschäftsbereich, als Gefangener in München-Stadelheim wieder. Von seinem Führer und Reichskanzler, dem Duzfreund Adolf Hitler, höchstpersönlich in Bad Wiessee als Hochverräter verhaftet, hatte der vermeintliche Putschist und Initiator einer „zweiten Revolution“ an diesem Tag nur noch ein überschaubares Stück Lebenszeit vor sich. Am frühen Nachmittag des 1. Juli 1934 erschossen ihn auf Hitlers Befehl die schwarzen Mauretanier der SS, ein Lagerkommando des KZ Dachau, angeführt von Theodor Eicke. „SS-Kameraden“ unter Sepp Dietrich hatten tags zuvor bereits sechs von Röhms bekanntesten Gefolgsleuten, darunter die SA-Granden Sachsens und Schlesiens, Hans Hayn und Edmund Heines, liquidiert. Als die Gewaltwelle am 2. Juli 1934 abebbte, waren ihr 50 SA-Führer und 35 „Sonstige“ zum Opfer gefallen. In der zeithistorischen Forschung kursieren sogar Zahlen zwischen 150 und 200 Toten in der „Nacht der langen Messer“.

Von den Zeitgenossen im In- und Ausland weinte niemand der Landsknechtsfigur Röhm und seinen pöbeligen braunen „Ascheimerleuten“ (Mutter Kempowski) eine Träne nach. Wer politisch dachte, begrüßte, daß die Bürgerkriegstruppe der NSDAP enthauptet und gezähmt war. Und wer moralisch dachte, frohlockte, daß der „Volkskanzler“ dieses korrupte, homosexuelle Geschmeiß in dem Sumpf versenkte, dem es zur „Systemzeit“ entkrochen war.

Aber es gab außer ihnen noch die „sonstigen“ Toten. Darunter so prominente wie Kurt von Schleicher, den Reichskanzler von 1932, samt Ehefrau, die engsten Mitarbeiter des amtierenden Vizekanzlers Franz von Papen, Edgar Julius Jung und Herbert von Bose, den Kopf der „Katholischen Aktion“, Erich Klausener, den 1932 geschaßten Exponenten des linken NSDAP-Flügels, Georg Strasser, sowie Gustav Ritter von Kahr, der am 9. November 1923 Hitlers Putschversuch niedergeschlagen hatte. Strasser, Schleicher und Kahr – da schienen „alte Rechnungen“ beglichen worden zu sein. Anders stand es mit Jung und Bose. Dieser Schlag zielte gegen von Papen, das konservative Lager und dessen Repräsentanten, den 87jährigen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg.

Aus Hitlers Sicht braute sich im Frühjahr 1934 gerade beim politisch schon eher impotent wirkenden deutschnationalen Koalitionspartner einiges zusammen. Von Papen artikulierte die Unzufriedenheit der konservativen Eliten am 17. Juni 1934 in seiner berühmten, von Edgar J. Jung verfaßten „Marburger Rede“, die sich gegen die Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit, das NS-Machtmonopol, die konfrontative Kirchen- und repressive Kulturpolitik des Regimes richtete und auch gegen Röhms stete Drohung  mit der „zweiten Revolution“. Tatsächlich trat der SA-Chef seit Jahresbeginn immer aggressiver auf, um seine Parteiarmee mit der Reichswehr zu einem Milizheer zu verschmelzen und damit die stärkste bürgerlich-konservative Machtbastion zu schleifen.

Gelang es Papen, den siechen Hindenburg für eine monarchische Nachfolgelösung zu gewinnen und die Reichswehr darauf zu verpflichten, hätte er eine konservative Fronde gegen die NS-Herrschaft formiert. Und Röhms Attacken auf die Wehrverfassung des Reiches schien diese Opposition noch unfreiwillig zusammenzuschweißen. „Nimmt man alles zusammen, so stand (im Juni 1934) die Grundordnung des nationalsozialistischen Deutschland zur Debatte“ (Peter Longerich).          

Obwohl Röhm keinen „Putsch“ plante und es unbestimmt war, ob Papens Pläne reifen würden, konnte die von beiden beeinflußte diffuse Konstellation als „Gefahr“ für die Stabilität des Regimes wahrgenommen werden. Ihrer „Abwehr“ im Zeichen proklamierter „Staatsnotwehr“ wohnte daher durchaus eine systemimmanente Logik inne, wie sie Carl Schmitts berüchtigte, aber dennoch griffige Formel „Der Führer schützt das Recht“ ausdrückte. Das ostentative Ende des gewaltenteiligen liberalen Rechtsstaats und der „politisch-moralische Einbruch“, der Hitler damit in die Wertewelt der ihm sekundierenden Reichswehr gelungen sei – jene beiden Zäsuren, die die Zeitgeschichtsschreibung mit dem „Röhm-Putsch“ bis heute verknüpft –, erscheinen angesichts der zur Debatte gestellten NS-„Grundordnung“ daher weniger markant, als es die juristisch-moralisch verengende Retrospektive eines „hochpolitischen Vorgangs“ (Schmitt) suggerieren möchte.

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