© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/09 26. Juni 2009

Das Netz wird enger
Internetzensur: Das Gesetz zur Sperrung von Kinderpornographie ist gefährlicher Unsinn
Thorsten Hinz

Der Bundestag hat mit den Stimmen der Großen Koalition beschlossen, Internetseiten mit kinderpornographischen Inhalten zu sperren. Die Neuregelung sieht vor, daß Netzseiten mit Kinderpornos nicht mehr aufgerufen werden können. Ein Stoppschild soll die Internetnutzer künftig auf gesperrte Seiten aufmerksam machen. Die Liste der gesperrten Seiten wird vom Bundes-kriminalamt geführt.

Das Gesetz ist ein gefährlicher Unsinn: Unsinnig, weil es am Kindesmißbrauch nichts ändern kann und wird. Gefährlich, weil es sich als Werkzeug eignet, um eine Büchse der Pandora zu öffnen. Seine Initiatorin, Familienministerin von der Leyen (CDU), nennt das Gesetz ein „wichtiges gesellschaftliches Signal“. Das ist es, aber ein anderes, als sie behauptet. Falsch liegen jedoch auch diejenigen, die eine grenzenlose Freiheit im Internet fordern und jeden Eingriff pauschal als Vorgriff auf die Diktatur verdammen. Eine Rechtsfreiheit im Internet kann es nicht geben, weil das, was sich in seinem virtuellen Raum bewegt, in unser reales Leben hineingreift und es mitbestimmt.

Nur zwei Beispiele: Zur Zeit wird der Plan der amerikanischen Suchmaschine Google diskutiert, komplette Bücher ins Internet zu stellen. Das wäre die Enteignung von Autoren und Verlagen und hätte unmittelbare Rückwirkungen auf die weitere geistige Produktion. Bereits jetzt übt Google durch die Hierarchisierung von Informationen eine unkontrollierte, unlegitimierte Macht aus, geistig, kulturell, letztlich politisch. Eine Einmischung des Staates zugunsten der Autoren- und Leserfreiheit ist durchaus geboten!

Ein qualitativ ganz anderes Beispiel sind Handy-Aufnahmen von körperlichen Attacken, die ins Internet gestellt werden. Die reale Qual und Demütigung des Opfers wird in den virtuellen Raum hinein verdoppelt. Die Frage, ob diese Verdoppelung einen zusätzlichen Straftatbestand bedeutet, wäre eine juristische Würdigung wert. Andererseits wäre es völlig unsinnig, deswegen das Medium unter Verdacht und Beobachtung zu stellen, vielmehr muß die reale Tat, auf die es ver- und die es beweist, desto konsequenter verfolgt werden.

Der behauptete Graben zwischen dem virtuellen Paralleluniversum des Internet und der realen Welt, der für die Verfechter der totalen Internet-Freiheit das Hauptargument bildet, existiert also nur teilweise. Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat gegen die Annahme einer derartigen „ontischen Differenz“ eingewandt: „Nun ist aber gerade die Nutzung kinderpornographischer Internetseiten ein Beleg dafür, daß der ontische Graben an einigen Stellen übersprungen werden kann: Die Bilder vergewaltigter Kinder entstammen der Realität; nur deswegen sind sie in der Virtualität kapitalisierbar.“ Doch auch Münkler kommt im konkreten Fall zu falschen Schlußfolgerungen. Der Teufel steckt in den Details.

Einer der kompetentesten Politiker in dieser Frage, der wegen strafrechtlicher Ermittlungen kaltgestellte Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss, bestreitet, daß der Konsum von kinderpornographischem Material mit dem Siegeszug des Internet quantitativ zugenommen habe. Die Tauschbörsen seien nicht offen zugänglich, sondern bildeten „geschlossene Nutzerkreise“. Nicht das Internet sei der zentrale Verbreitungsweg, sondern das Handy und der gute, alte Briefkasten. Was also, wenn die verstärkte Kontrolle des Internet lediglich dazu führt, daß der Schweinekram wieder ganz auf dem Postweg vertrieben wird? Will man dann eine Postzensur beschließen?

Zur Tatsache, daß die realen Kinderschänder vom Gesetz unbehelligt bleiben, heißt es entschuldigend, daß die Anbieter sich im Ausland befänden, für die deutschen Behörden unerreichbar seien und die neue Regelung besser sei als nichts. Die Politik dispensiert sich von der Aufgabe, dicke Bretter zu bohren und in zwischenstaatliche Verhandlungen einzutreten, wie sie es noch beim Problem der Kinderprostitution getan hat. Deutsche, die sich in Südostasien an Kindern vergreifen, können seitdem zu Hause belangt werden.

Wenn aber der behauptete Zweck des Gesetzes: der Schutz der Kinder, erwiesenermaßen verfehlt wird, dann stellt sich die Frage nach der wirklichen Absicht. Hauptsächlich geht es darum, eine Infrastruktur zur Internet-Überwachung zu etablieren. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Strobl fordert bereits, sie auch gegen Gewaltspiele in Stellung zu bringen. Andere träumen davon, sich „rechtsradikale“ oder „verfassungsfeindliche“ Netzseiten vorzuknöpfen. Bei Thomas Strobl handelt es sich übrigens um den Schwiegersohn des kontrollwütigen Innenministers Schäuble. Außerdem ist er Vorsitzender des Immunitätsausschusses des Bundestags und damit für die Aufhebung der Immunität seines politischen Gegners Tauss unmittelbar zuständig.

Die Infrastruktur zur Zensur und Überwachung wird benötigt, um die Meinungs- und Verhaltenssteuerung der nachwachsenden Generationen langfristig sicherzustellen. Mit dem Internet aufgewachsen, sind sie auf den traditionellen Informations- und Kommunikationswegen – Fernsehen, Rundfunk, Zeitungen – nicht mehr ohne weiteres erreich- und beeinflußbar. Um den Kontakt zu ihnen zu halten, sind die Medien gezwungen, selber ins Internet zu gehen und dort Dialog- und Kommentarfunktionen einzurichten. Insbesondere bei den bekannten Tabuthemen zeigt sich dann schnell, wie weit öffentliche und veröffentlichte Meinung auseinanderklaffen. Das trifft die Journalisten doppelt: einmal in ihrer Selbstachtung, wenn sie als gleichgeschaltete Meinungssöldner oder ängstlich-konformistische Lohnarbeiter abgekanzelt werden, zweitens in ihrer Eigenschaft als Funktionsträger des politischen Systems. Ein Abschalten der Kommentarfunktion wirkt als zusätzliches Eingeständnis argumentativer Schwäche und verhindert, daß überhaupt eine Nutzer-Medien-Bindung entsteht. Der politischen Klasse kommen damit die vertrauten medialen Transmissionsriemen abhanden, sie befürchtet ein Zerbröseln ihrer Legitimationsbasis.

Diese Befürchtung ist nicht abwegig, wie jetzt die empörten Reaktionen aus der überwiegend jungen Internetgemeinde zeigen. Das Vertrauen in den Staat und die Politik sind weitgehend dahin. Es liegt in der Logik staatlichen Handelns, zu versuchen, diese innerlich Abtrünnigen kommunikativ unter Kontrolle zu bekommen. Das geschieht auf mehreren Ebenen. Das Gesetz gegen Kinderpornographie signalisiert, daß man auch im Parallelmedium Internet unter Beobachtung steht.

Zweitens wird das Internet zunehmend als ein klinisches Problem, als suchtauslösende Gefahr hingestellt. Drittens bauen der Staat beziehungsweise die öffentlich-rechtlichen Medien die eigenen Internet-Aktivitäten aus, finanziert durch Zwangsgebühren. Sukzessive wird eine „gute“ Internetzone markiert, die ARD, ZDF, FAZ-, Spiegel- und Welt-online usw. umfaßt. Der Nutzer soll verinnerlichen, daß jenseits davon ein Schmuddelbereich aus Kinderporno und Verfassungsfeindlichkeit beginnt.

Foto: iPhone: Hauptsächlich geht es darum, eine Infrastruktur zur Internet-Überwachung aufzubauen

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