© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/09 26. Juni 2009

Das blaue Wunder
Was ist das Geheimnis der FPÖ? In Österreich existiert eine lebendige konservative Lebenswelt
Michael Paulwitz

Andreas Hofers Geist rief, und alle, alle kamen. Über tausend Burschenschafter und Waffenstudenten tauchten Innsbruck am Wochenende in ein buntes Meer von Bändern, Mützen, Fahnen. Die Festrede auf dem Freiheitskommers zum Gedenken an den Tiroler Freiheitskampf hielt kein Geringerer als der stellvertretende Parlamentspräsident Martin Graf, FPÖ-Spitzenpolitiker und Alter Herr der Wiener Burschenschaft Olympia, der stolz darauf ist, „ein Aushängeschild des rechten akademischen Lagers zu sein“. Aus der Bundesrepublik angereiste Teilnehmer konnten sich beinahe wie im Urlaub von ihrer „Kampf gegen Rechts“-Republik fühlen.

Das Sonnwendwochenende in der Nordtiroler Landeshauptstadt war mehr als ein Familientreffen von Verbindungsstudenten. An Tagen wie diesen demonstriert das nationalfreiheitliche „Dritte Lager“ Österreichs seine tiefwurzelnde Verankerung in Gemeinwesen und Gesellschaft, seine Vitalität und seine Kraft, eigene geschichtspolitische Akzente zu setzen.

Burschenschaften und FPÖ sind heute die tragenden Säulen dieses Dritten Lagers, das jenes Drittel der Österreicher repräsentiert, die sich weder dem katholisch-klerikal-christdemokratischen noch dem proletarisch-sozialistisch-linken Lager zugehörig fühlen. Die rechtsdemokratische Partei und die waffentragenden akademischen Verbindungen sind nicht etwa isolierte und marginalisierte Hinterzimmerphänomene, wie es der gelernte Bundesrepublikaner hierzulande gewöhnt ist: Sie stehen mitten in der Gesellschaft, als Teil eines sozialen und kulturellen Milieus, dessen persönliche, berufliche, politische und mediale Netzwerke weit über Partei- und Korporationsgrenzen hinausgehen. Das generationenübergreifende Beziehungsgeflecht des Dritten Lagers, in dem Politik und Alltag, Berufs- und Privatleben eng verwoben sind, bildet eine veritable konservative Lebenswelt, in der kulturelle und politische Organisationen, freiheitliche Publikationen, Verlage und mediale Netzwerke, berufsständische Institutionen, akademische und universitäre Bezugspunkte gedeihen und sich gegenseitig tragen.

Aber warum gehen die Uhren in Österreich anders als in der Bundesrepublik? Seine Wurzeln hat das Dritte Lager in der Revolution von 1848, die den Gegensatz zwischen der Staatsräson der Monarchie und dem nationalen deutschen Selbstverständnis großer Teile des Bürgertums, das sich unter dem schwarz-rot-goldenen Dreifarb sammelte, in aller Schärfe zum Ausbruch brachte. Untergründig schwelend in der erzwungenen Eigenständigkeit Österreichs in der Zwischenkriegszeit, fand der Konflikt eine Neuauflage in der Nachkriegs-Republik, deren schwarz-rote politische Klasse nach 1945 die Vorteile der Opferrolle entdeckte.

Die Kappung aller Verbindungen mit der „belasteten“ gemeinsamen deutschen Geschichte führte zu grotesken Verrenkungen – an den Schulen wurde Deutsch zur „Unterrichtssprache“, und selbst für die deutschen Vertriebenen Altösterreichs fühlte man sich anfangs nicht zuständig. Jörg Haider sollte diese Geschichtsvergessenheit als „Lebenslüge“ der zweiten Republik kritisieren; im Widerspruch zu ihr formierte sich das Dritte Lager neu und fand einen historischen Kompromiß, der zwischen Volk und Staat unterschied.

Der Erfolg der FPÖ beruht auf ihrer Verwurzelung in diesem Milieu: Sie ist die politisch-parlamentarische Stimme des Dritten Lagers, das ihr zugleich als Nachwuchs- und Ideenreservoir dient. Dank dieser Verankerung überstehen Österreichs politisch organisierte Freiheitliche auch Führungskrisen und Parteispaltungen und haben sich bislang als immun gegen alle Vereinnahmungsversuche und linksliberal-progressiven Tendenzen erwiesen. Umgekehrt festigt die öffentliche Präsenz der FPÖ das freiheitliche Lager und eröffnet rechten Akademikern eine Perspektive für politisches Engagement diesseits des Desperadotums.

Nicht daß FPÖ und Drittem Lager „antifaschistische“ Attacken von linksaußen erspart blieben – der neueste „Fall Graf“ (siehe Interview Seite 3), eine konzertierte linke Kampagne, die den Burschenschafter als Vize-Nationalratspräsidenten zu Fall bringen will, zeigt deutlich genug, daß gesellschaftliche Etablierung nicht vor Anfeindung schützt, sie aber besser zu überstehen hilft.

Das Fehlen eines Dritten Lagers unterscheidet die bundesdeutschen Verhältnisse markant von den österreichischen und erklärt, warum es rechtsdemokratische Parteien hierzulande unendlich schwerer haben als die FPÖ. Die Nationalliberalen der Erich-Mende-Ära wurden schon in den Sechzigern mit der Sozialliberalisierung der FDP politisch heimatlos, die letzten konservativen Unionsanhängsel wickelt die Merkel-CDU gerade ab.

„Der Bundesrepublik fehlt sowohl die Tradition einer rechtsnationalen Partei als auch das gefestigte und vernetzte Milieu, das sie tragen könnte – eine europäische Anomalie“, wie der Historiker Lothar Höbelt, Fachmann für die Geschichte des Dritten Lagers, zutreffend bemerkt. Der Vlaams Belang etwa kann sich auf die flämische Autonomiebewegung stützen, der Front National wurde als Sprachrohr der „pieds noirs“, der Nordafrika-Franzosen, groß. Eine deutsche Rechtspartei wird nicht erfolgreich sein können ohne die Herausbildung eines eigenen soziokulturellen Milieus, einer konservativen Gegenöffentlichkeit.

Das geschieht nicht über Nacht; doch das Unterfangen ist nicht aussichtslos. Auch in der Bundesrepublik gibt es Zeitungen und Stiftungen, Kleinparteien und Vorfeldorganisationen, Initiativen und markante Einzelpersonen, die zu Kristallisationspunkten eines deutschen national-freiheitlichen Lagers zusammenwachsen könnten. In etlichen europäischen Ländern ist inzwischen der Nachweis gelungen, daß freiheitliche Ideen in Verbindung mit populären Themen wie Steuerprotest oder Widerstand gegen Islamisierung nicht-linke Gegenmilieus zu schaffen imstande sind. Vernetzung ist also das Gebot der Stunde. Der Erfolg einer politischen Kraft, auch das lehrt das Beispiel Österreich, beginnt an der Basis.

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