© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/09 19. Juni 2009

Pulverfass Iran
Realpolitik statt Illusionen!
Peter Scholl-Latour

Die Empörung ist groß. Hat Ahmadi-Nedschad die Wahl im Iran wirklich gewonnen? Er mag das Ergebnis geschönt haben, aber nicht unwahrscheinlich ist, daß er tatsächlich die Mehrheit der Stimmen erzielt hat. Man darf nicht verwechseln: Der Mann ist im Iran nicht so unbeliebt wie bei uns. Im Gegenteil, gerade bei kleinen Leuten ist er populär, weil er sich immer wieder auch mit den korrupten Mullahs angelegt hat. Außerdem: Zehn Millionen Stimmen zu fälschen, das wäre auch für Ahmadi-Nedschad kaum zu bewältigen.

Doch statt uns lauthals über seine Unehrlichkeit zu empören, sollten wir uns fragen, wie ehrlich wir selbst sind. Wo bleibt unsere Entrüstung, wenn bei den westlichen Verbündeten etwa in Ägypten Wahlen manipuliert oder wie in Saudi-Arabien erst gar nicht abgehalten werden? Ganz zu schweigen von Afghanistan, wo die Wahlen eine Farce sind.

Kaum jemand hat damit gerechnet, daß es der Opposition gelingen würde, eine solch kompakte Masse auf die Straße zu bringen. Noch ist alles offen. Der höchste geistliche Führer, Ayatollah Chamenei, versucht offenbar durch Scheinkompromisse zu beruhigen. Aber bürgerkriegsähnliche Zustände sind nicht mehr auszuschließen, und dann weiß man, wer das letzte Wort hätte: nämlich die Elitetruppe der Pasdaran, der Revolutionswächter, die man gelegentlich mit der Waffen-SS vergleicht.

Was die Protestler angeht, so geht es ihnen wohl vor allem um die Abschaffung einer unerträglichen Bevormundung durch die Mullahs. Aber man gebe sich bei uns nicht der Illusion hin, dahinter stünde eine große demokratische Vision.

Statt einen Sinn für Realpolitik zu entwickeln, pflegen die Deutschen lieber ihre Illusionen und verkennen so die reale Lage in der Region: Krieg in Afghanistan, Chaos im Irak und Pakistan kurz vor der Explosion. Als einzig stabiler Faktor erscheint uns der Iran. Wir wissen schon, daß der schiitische Gottesstaat ein Todfeind der Taliban ist – und damit ein natürlicher Verbündeter der Nato wäre. Auch haben sich die Mullahs im Irak längst nicht so stark eingemischt, wie das angesichts der Zahl der dortigen Schiiten möglich wäre. Vorstöße Teherans zu begrenzter Zusammenarbeit wurden bislang vom Westen ignoriert. – Immerhin hat Präsident Obama mit seiner grandiosen Rede in Kairo einen neuen Kurs vorgezeichnet.

Vielleicht wäre es für Washington sogar besser, mit einem Hardliner in Teheran zu verhandeln als mit einem Kompromißpolitiker, der allzu schnell in den Verdacht des Verrats geriete. Ähnlich verhält es sich ja auch mit Israel und der Drohung eines Luftschlages gegen Irans Atomanlagen. Mit Premier Netanjahu könnte endlich ein ehrliches Gespräch eingeleitet und die Frage diskutiert werden, wie sich die Anerkennung eines Palästinenserstaates mit der Präsenz einer halben Million jüdischer Siedler im Westjordanland und Ost-Jerusalem vereinbaren läßt. 

 

Prof. Dr. Peter Scholl-Latour, Publizist und Nahost-Experte, schrieb zuletzt in der JF 6/09 zu Barack Obama

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