© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/09 12. Juni 2009

Souverän über den Souverän regiert
Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim erneuert seine Kritik an allzu volksferner Parteienpolitik
Rolf Dressler

Es war zu der Zeit, als der SPD- „Medienkanzler“ Gerhard Schröder sich auf der Höhe seines Wahlkämpfertums wähnte. Bevor er  am Ende doch, wenn auch knapp, der Konkurrentin Angela Merkel das hohe Amt überlassen mußte, schmähte er den hochkompetenten Karlsruher Verfassungsrichter und Steuersystem-Vordenker Paul Kirchhof  feixend-genüßlich als angeblich schrullig-versponnenen „Professor aus Heidelberg“. Und siehe da, prompt ließ die CDU den Hoffnungsträger in Angela Merkels Schattenkabinett-Kompetenzteam fallen wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel.  

Einem ähnlich imponierend unabhängigen Geist, dem Professor Hans-Herbert von Arnim, kann Ähnliches wohl kaum widerfahren. Denn dieser glasklare Analytiker ist der herrschenden Politikerklasse seit Jahr und Tag so erfrischend akribisch und kritisch auf der Fährte, daß ihm wohl kaum je ein politisches Amt in dieser oder jener Partei angeboten werden wird. Der Verächtlichmachungsdreh der Marke „Professor aus Speyer“ läuft bei der Lesergemeinde des vielfachen Bestsellerautors von Arnim ohnehin ins Leere – und mithin auch der dümmlich-billige Versuch, den Unbequemen als Exoten abzustempeln, als einen Störenfried, der ja doch nur provozieren wolle.

Diese Methode verfängt bei mitdenkenden Bürgern, Wählern, Steuerzahlern längst nicht mehr. Sie hat sich verbraucht, weil die stromlinienförmigen Parteikarrieristen ringsumher den Ton angeben im sogenannten politischen Geschäft, so wie es heute allenthalben verstanden wird – zum Schaden der inneren Demokratie, zum Nachteil derer, denen man in Sonntagsreden schmeichelt, sie und nur sie seien der Souverän, der eigentliche Entscheider und überhaupt die Seele des großen Ganzen. Schön wär’s, wahrhaftig.

Leider aber mehren sich die Warnzeichen kräftig. Und darüber vermögen auch die hehren Lobeshymnen nicht hinwegzutäuschen, mit denen unlängst das 60-Jahre-Jubiläum unseres Grundgesetzes und des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai feierlich wohlgesetzt umflort wurde. Was der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Hans Herbert von Arnim, ehemals Rektor der Hochschule für Verwaltungswissenschaft in Speyer und Verfassungsrichter in Brandenburg, dazu erhellend aufschlußreich anmerkt, hat stets Hand und Fuß – wie auch in seinem neuesten, abermals hervorragend recherchierten Buch mit dem sinnfälligen Titel „Volksparteien ohne Volk – Das Versagen der Politik“.

Wiederum erweist sich von Arnim als einer der versiertesten Kenner unserer politischen Landschaft, des Wahlsystems und der inneren Strukturen, Denkweisen und Handlungsabläufe innerhalb der Parteiorganisationen. Sein besonderes Augenmerk gilt CDU/CSU und SPD, weil diese sichtlich angejahrten „alten“ Volksparteien sich in ihrem Tun und Handeln offenbar weder von dem anhaltend desaströsen Mitgliederschwund noch von dem stetigen Abbröckeln ihrer Stammwählerschaft, noch von dem Absacken der Wählerstimmenzahlen auf oder sogar unter die 30-Prozent-Marke nennenswert anfechten lassen.

Gerade in diesem Licht bietet von Arnim wie kaum ein Zweiter seines Ranges Staatsbürgerkunde vom feinsten. Wie zuvor schon „Staat ohne Diener“, „Die Partei, der Abgeordnete und das Geld“, „Fetter Bauch regiert nicht gern“ oder „Das Europa-Komplott  – Wie EU-Funktionäre und Europaabgeordnete ‘unsere Demokratie verscherbeln’“ kommt erst recht „Volksparteien ohne Volk“ wie gerufen, weil es auf höchst fesselnde Weise beleuchtet, was hinter der Hohlphrase vom „Superwahljahr 2009“ tatsächlich vor sich geht, wie die herrschende Politik der Gaukler und Vernebler mit dem ach so wichtigen „Souverän“, den Damen und Herren Wahlbürgern, in Wahrheit nur neuerlich Hampelmännchen spielt.

Es sind, wohlgemerkt, dieselben Politiker und Partei-„Größen“, die über die Jahre und Jahrzehnte zahllose Fehlsteuerungen entweder mit Macht vorangetrieben und durchgesetzt oder sie jedenfalls – oft wider besseres Wissen – widerspruchslos hingenommen und durchgewinkt haben. Wie vieles davon hat aber in Sackgassen geführt, vor allem wenn es Land und Leuten unter der Allzweck-Zauberformel „Reform“ angedient und verkauft wurde? Ist die unstreitige Bildungs- und Erziehungskatastrophe in Deutschland nicht unter Mitwirkung aller (!) Parteien im Lebenddauerversuch buchstäblich herbei-„reformiert“ worden zum Schaden der nachwachsenden Kinder und Kindeskinder? Diese Entwicklung wurde bereits vor Jahren publizistisch in vielen Auflagen dargelegt, so bei Susanne Gaschke („Die Erziehungskatastrophe – Kinder brauchen starke Eltern“, 2001) oder Josef Kraus („Sackgassen deutscher Schulpolitik“, 1998).

Nein, um den Zustand unseres Gemeinwesens im Jubiläumsjahr 2009 steht es entgegen allen Lobpreisungen im Hochglanzstil keineswegs zum besten: Was die Verfasser des Grundgesetzes ausdrücklich gerade nicht wollten, haben die Parteien sich nach ihrem Gusto zurechtgebogen. Sie besitzen nicht nur das Monopol der Kandidatenaufstellung, sondern bestimmen eigenmächtig, wer in die Parlamente einzieht. Das Wahlsystem funktioniert, wie sie es sich wünschen; schleichend und auf kaltem Wege wurde dem Volk sein wichtigstes Grundrecht genommen, nämlich seine Vertreter selbst auswählen zu können. Wen die Partei auf einem „sicheren Listenplatz“ plaziert, über den kann kein Wähler mehr anders bestimmen, ihn ablehnen oder zurückweisen. Und das groteskermaßen selbst dann nicht, wenn der betreffende Abgeordnete oder Kandidat bei den Bürgern kein Vertrauen genießt! Eine vortreffliche Lektüre, kritisch und aufbauend zugleich.

Hans Herbert von Arnim: Volksparteien ohne Volk. C. Bertelsmann Verlag, München 2009, gebunden, 400 Seiten, 19,95 Euro

 

Rolf Dressler war langjähriger Chefredakteur beim „Westfalenblatt“ in Bielefeld und ist nun freier Journalist.

Foto: Widmung am Reichstagsportal: Schleichend und auf kaltem Wege wurde dem Volk sein wichtigstes Grundrecht genommen

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