© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/09 05. Juni 2009

Eine Serie von Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof / Teil 1
Die Hypotheken von Versailles
Ohne die Ergebnisse der alliierten Verhandlungen nach 1919 ist der Zweite Weltkrieg nicht denkbar

Der Vertrag von Versailles schuf neben vielen anderen Schwierigkeiten drei Fakten für Polen und für Deutschland, die das nachbarliche Verhältnis beider Länder stark belasten sollten. Zum ersten wurde Danzig von Deutschland abgetrennt und zur teilsouveränen Republik „Freie Stadt Danzig“ erklärt, obwohl knapp 97 Prozent der Bewohner deutschsprachig waren. Damit wurde sie zu einem eigenen Staat gemacht. Die Hypothek, die die Sieger den Danzigern dabei ins „Grundbuch“ schrieben, bestand darin, daß sie der Republik Polen besondere Zoll-, Post-, Bahn- und Handelsrechte in Danzig eingeräumt, sowie die außenpolitische Vertretung Danzigs zugesprochen hatten. Ansonsten stand die Freie Stadt unter dem Protektorat des Völkerbunds, also der Siegermächte selbst. Diese Konstruktion eines kleinen Staates mit dreigeteilter Souveränität war schon ein Pulverfaß an sich.

Konfliktstoff für Deutschland und für Polen aufgetürmt

 Das zweite Faktum war, daß Westpreußen mit immerhin 70 Prozent deutscher Bevölkerung, die Provinz Posen mit noch 30 Prozent Deutschen und ein Teil Oberschlesiens von Deutschland abgetrennt und Polen zugesprochen worden waren. Damit waren etwa zwei  Millionen deutsche Bürger gegen ihren Willen polnische Staatsbürger geworden. Die große Mehrzahl dieser Deutschen hat ihre „Umwidmung“ nicht einfach hingenommen. Sie fühlte sich ihren neuen „Herren“ gegenüber zu keiner Loyalität verpflichtet, und die polnische Regierung hat ihre Deutschen umgekehrt benachteiligt und kujoniert. Dieser Akt der Sieger, Menschen gegen ihr nationales Bekenntnis fremden Staaten zuzuschlagen, widersprach schon damals dem allgemein postulierten Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Die dritte deutsch-polnische Belastung ergab sich ebenfalls aus der erzwungenen Abtretung Westpreußens an Polen. Damit entstand ein polnischer Landstreifen zwischen dem Kern des Deutschen Reichs und der von nun an von Deutschland abgetrennten Provinz Ostpreußen. Es entstand der „polnische Korridor“. Auf diese Weise hingen Ostpreußens Wirtschaft und besonders seine Energieversorgung auf einmal von den Verkehrswegen durch nun polnisches Gebiet ab. 1920 wurde dazu vertraglich festgelegt, daß die Verkehrsverbindungen nach Ostpreußen für Personen, Waren und vor allem Steinkohle aus Oberschlesien über acht Eisenbahnstrecken durch Polen laufen sollten und daß die Transitgebühren dafür in Zloty zu entrichten wären. Das alles war bis zu Beginn der Weltwirtschaftskrise kein Problem, wurde dann aber zunehmend zu einer schweren Belastung für das deutsch-polnische Verhältnis. Mit diesen, im wesentlichen drei Problemen hatten die Siegermächte in Versailles soviel Konfliktstoff für Deutschland und für Polen aufgetürmt, daß ein gedeihliches Nebeneinander zwischen den zwei Nachbarstaaten ohne spätere Korrekturen fast ausgeschlossen war.

Keine Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden

 Auch Politiker auf der Siegerseite haben das schon früh erkannt. Der englische Premierminister Lloyd George prophezeite bereits auf der Konferenz von Versailles: „Der Vorschlag der polnischen Kommission, daß wir 2.100.000 Deutsche der Autorität eines Volkes (...) unterstellen sollen, das im Laufe der Geschichte niemals gezeigt hat, daß es sich zu regieren versteht, würde uns früher oder später in einen neuen Krieg in Osteuropa führen.“ Auch William Bullitt, Mitglied der US-Delegation in Versailles, schrieb 1919 aus Paris nach Washington an seinen Präsidenten Woodrow Wilson: „Die ungerechten Beschlüsse der Versailler Konferenz über Shantung, Tirol, (...), Ostpreußen, Danzig, das Saargebiet (...) machen neue internationale Konflikte sicher.“ Pierre Laval, der französische Ministerpräsident, bezeichnete den polnischen Korridor bei seinen zwei Amerikabesuchen 1931 mehrmals als Ungeheuerlichkeit und als Mißbildung. Noch deutlicher bezog sich Winston Churchill am 24. November 1932 mit seiner Warnung vor dem Unterhaus in London auf die deutsch-polnischen Probleme: „Wenn die englische Regierung wirklich wünscht, etwas für die Förderung des Friedens zu tun, dann sollte sie die Führung übernehmen und die Frage Danzigs und des Korridors ihrerseits wieder aufrollen, solange die Siegermächte noch überlegen sind. Wenn diese Fragen nicht gelöst werden, kann keine Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden bestehen.“ 

Als der Krieg dann näherkam, führte Lord Lothian, der spätere englische Botschafter in Washington, in einer Rede am 29. Juni 1937 in London aus: „Wenn wir das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker zugunsten Deutschlands anwenden würden, so wie es zu seinen Ungunsten in Versailles angewandt worden ist, würde das Ergebnis folgendes sein: 1. Die Wiedervereinigung Österreichs mit Deutschland, 2. die Rückkehr der Sudetendeutschen, Danzigs und wahrscheinlich des Memellands ins Reich und 3. gewisse Regelungen mit Polen in Schlesien und im Korridor.“ Diese Ursachen für einen neuen Krieg hatten die Sieger in Versailles selbst geschaffen und sie nicht beseitigt, als die Zeit dafür längst reif war und als sie noch die Macht dazu hatten. Ab 1933 rührte sich mit den Nationalsozialisten eine neue Kraft, die sich verpflichtet fühlte, mit den parteiübergreifend in Deutschland so bewerteten „Ungeheuerlichkeiten“ von Versailles aufzuräumen.

Fortsetzung in der nächsten JF

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